Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD)
Bürgergeld-Entwurf ist "kein fauler Kompromiss"

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat den Kompromiss zum Bürgergeld verteidigt. Dadurch werde der Staat gerechter und moderner, sagte Heil im Dlf. Das Bürgergeld sei mehr als Hartz IV. Es bringe Menschen besser und langfristig in Arbeit.

Hubertus Heil im Gespräch mit Friedbert Meurer | 24.11.2022
Hubertus Heil (Bundesminister für Arbeit und Soziales, SPD) während der Haushalts Debatte im Bundestag am 23.11.22, in der auch über das Bürgergeld debattiert wurde.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hält das Bürgergeld für richtig und wichtig (IMAGO / Christian Spicker / IMAGO / Christian Spicker)
Der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat hat am 23. November 2022 den von Ampelkoalition und Union ausgehandelten Kompromiss für die Sozialreform gebilligt. Das Bürgergeld soll zum 1. Januar das Hartz-IV-System ersetzen. Vorgesehen sind unter anderem höhere Regelsätze und höhere Hinzuverdienstmöglichkeiten. In dem neuen Gesetzentwurf sind jedoch auf Drängen der Union schärfere Sanktionsmöglichkeiten und ein geringeres Schonvermögen als ursprünglich geplant festgeschrieben. Unter anderem daran entzündet sich Kritik.
Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk wies Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) die Kritik zurück. Das Bürgergeld schaffe durch Qualifikation und Weiterbildung neue Wege aus der Bedürftigkeit in die Arbeit, sagte er. Heil verbindet mit dem Bürgergeld auch die Erwartung, dass es den Zusammenhalt in der Gesellschaft stärkt und Debatten "entgiftet" werden.
Das Interview im Wortlaut:
Friedbert Meurer: Ist das ein Systemwechsel oder nur ein neuer Name. – Ist es mehr als Hartz IV?
Hubertus Heil: Natürlich. Es ist so, dass Hartz IV Geschichte ist, und zum 1. Januar kommt das neue Bürgergeld. Mir war wichtig, dass wir Menschen im Lebensalltag konkret helfen. Es geht um diejenigen, die in Not geraten sind. Die werden zukünftig verlässlicher und unbürokratischer abgesichert. Aber es geht vor allen Dingen darum, neue Wege aus der Bedürftigkeit in Arbeit zu bringen, durch Qualifizierung und Weiterbildung. Das hier ist ein ganz neuer Ansatz und das ist auch richtig so.
Meurer: Bisher wurde doch auch schon qualifiziert. Was ist hier der neue Ansatz, Herr Heil?
Heil: Ich mache es mal praktisch. Vor 20 Jahren, als die damaligen Hartz-IV-Gesetze eingeführt wurden, hatten wir Massenarbeitslosigkeit in Deutschland. Heute haben wir in vielen Bereichen Arbeits- und Fachkräftemangel und es ist so, dass zwei Drittel der langzeitarbeitslosen Menschen heute keine abgeschlossene Berufsausbildung haben.
Rote und grüne Ampel mit Aufschrift Bürgergeld und Hartz IV.
Das Bürgergeld könnte nun doch am 1. Januar 2022 kommen. (IMAGO / Christian Ohde / IMAGO / Christian Ohde)
Im bisherigen Hartz-IV-System ist es so, dass Menschen oft in Hilfsjobs gebracht wurden und das Jobcenter sah die Menschen nach ein paar Monaten wieder. Es gab keine nachhaltige Arbeitsmarktintegration. Jetzt gibt es einen neuen Ansatz. Der Grundsatz ist, dass Menschen die Chance haben, Unterstützung bekommen, auch einen Abschluss nachzuholen, um dauerhaft am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, um selbstbestimmt leben zu können, und das liefert übrigens auch einen Beitrag zur Arbeits- und Fachkräftesicherung.

Heil: Bürgergeld bietet Chance und Schutz

Meurer: Sind die Jobcenter darauf vorbereitet, jetzt intensiver Weiterbildung anzubieten?
Heil: Die Kolleginnen und Kollegen in den Jobcentern machen einen ausgezeichneten Job, großartige Arbeit, aber sie haben es bisher mit einem sehr bürokratischen System zu tun, was zum Beispiel dazu führt, dass viel zu viele Bescheide im Hartz-IV-System verschickt werden mussten, auch wegen lächerlicher Beträge im einstelligen Euro-Bereich. Da gibt es jetzt Bagatellgrenzen. Wir schaffen auch Luft durch ein neues System, damit die Kolleginnen und Kollegen in den Jobcentern sich auf das konzentrieren können, was notwendig ist, um Menschen in Not zu helfen, nämlich um sie gut zu unterstützen, damit sie über die Runden kommen, aber vor allen Dingen wieder rauskommen aus der Bedürftigkeit. Deshalb ist das Bürgergeld ein neues System, das Chancen gibt und das Schutz gewährt.
Meurer: Wo genau wird es wirklich entscheidend weniger bürokratisch?
Heil: Zum Beispiel bei der Frage, dass die Eingliederungsvereinbarung, die es bisher gibt, immer mit Rechtsbelehrung läuft. Es gibt jetzt einen Kooperationsplan, wo die Jobcenter-Mitarbeiter sich mit den betroffenen Menschen zusammensetzen, unmittelbar nachdem die Leistungen bekommen, um darüber zu reden, wie sie aus der Not rauskommen, was sie an gezielter Unterstützung brauchen.
Dafür braucht man keine dicken Rechtsbelehrungen, sondern da geht es auf Augenhöhe, und das ist auch richtig so, denn die Menschen, die beispielsweise als Alleinerziehende auf ergänzende Grundsicherung angewiesen sind, die zwar fleißig arbeiten, aber Unterstützung brauchen, die brauchen eine Chance, unterstützt zu werden. Es geht um die Menschen, die arbeitslos geworden sind. Es geht um Selbständige, die mal kurzfristig auf Grundsicherung angewiesen sind. Für all die wird das Bürgergeld unbürokratischer und passgenauer.

CDU-Kritik: Bürgergeld ist kein Systemwechsel

Meurer: Die CDU sagt, nein, das ist kein Systemwechsel, wir haben die Sanktionen durchgesetzt. Die Linke sagt, nein, das ist kein Systemwechsel, es bleibt bei viel zu niedrigen Regelsätzen. Trübt das Ihre Reform, dass jetzt die von der CDU/CSU gewünschten Reformen zum Beispiel mit eingebaut wurden?
Heil: Nein! Ich finde es vollkommen richtig, wenn man auf sozialen Fortschritt setzt, dass man tatsächlich auch zu Kompromissen in der Lage ist. Aber es sind keine faulen, sondern das sind richtig gute Lösungen, die wir hinbekommen haben. Und ich bitte Sie, was soll eine Opposition von rechts und links denn anderes erzählen. Im Kern geht es darum, dass Mitwirkungspflichten und damit auch Sanktionen auch in meinem ursprünglichen Gesetzentwurf schon vorgesehen waren. Da hatte sich die Union ziemlich viel eingeredet.
Das haben wir jetzt aber aufgelöst mit einer guten Lösung, die dazu führt, dass es verhältnismäßig ist, und das ist eigentlich auch nie der wichtigste Punkte gewesen, denn wenn wir auf die Lebensrealität und die Praxis zu sprechen kommen, dann sind nur in drei Prozent der Fälle bei den betroffenen Menschen Sanktionen tatsächlich notwendig. Ich war immer der Meinung, dass es Mitwirkungspflichten geben muss, aber dass wir nicht die Mehrheit der arbeitslosen Menschen unter Generalverdacht stellen, dass sie zu faul sind zu arbeiten, das finde ich auch richtig, denn das war auch schon immer falsch.
Meurer: Aber wer tut das, Herr Heil?
Heil: Ich habe da Reden gehört in den letzten Wochen, die ein komisches Bild von langzeitarbeitslosen Menschen vermittelt haben.

Redaktionell empfohlener externer Inhalt

Mit Aktivierung des Schalters (Blau) werden externe Inhalte angezeigt und personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt. Deutschlandradio hat darauf keinen Einfluss. Näheres dazu lesen Sie in unserer Datenschutzerklärung. Sie können die Anzeige und die damit verbundene Datenübermittlung mit dem Schalter (Grau) jederzeit wieder deaktivieren.

Meurer: Meinen Sie den Oppositionsführer Friedrich Merz?
Heil: Ich meine niemanden persönlich. Das liegt jetzt Gott sei Dank hinter uns und damit sage ich auch, wenn das jetzt mit breiter Mehrheit in Bundestag und Bundesrat beschlossen wird, dann ist das auch die Möglichkeit, unsere Gesellschaft stärker zusammenzuhalten, eine gesellschaftliche Debatte zu entgiften, die in den letzten Jahrzehnten ja unser Land geprägt hat. Mir geht es um vernünftige Lösungen für die betroffenen Menschen. Mir geht es um ein besseres System und das ist gelungen und das bleibt auch.

Heil: Haben einen guten Gesetzentwurf zum Bürgergeld gemacht

Meurer: Die Union hat, so scheint es, fast alles durchgesetzt, was sie haben wollten. Das galt vor zwei Wochen noch als Ausweis sozialer Kälte. Jetzt sagen Sie, das ist eine gute Lösung. Wie kommen Sie zu dem Ergebnis?
Heil: Ihre Prämisse der Frage stimmt ja schon nicht. Wir haben einen guten Gesetzentwurf gemacht. Wir haben miteinander verhandelt und wir haben gute Lösungen gefunden mit Blick auf die Lebensrealität von Menschen. Mir geht es nicht um Ideologie oder um die Frage, wer sich parteipolitisch durchgesetzt hat, sondern ich habe eine Amtsverantwortung als Arbeits- und Sozialminister, ein besseres System zu schaffen, das Menschen im Alltag unterstützt, wenn sie in Not geraten sind. Deshalb freue ich mich uneingeschränkt, dass das gelungen ist.
Meurer: Haben Sie zu sehr nachgegeben bei den Sanktionen?
Heil: Den Eindruck habe ich nicht. Ich habe Ihnen ja eben beschrieben, dass es Mitwirkungspflichten immer auch schon im Gesetzentwurf gegeben hat, im Gegensatz zu dem, was die Union sich eingeredet hat. Aber wir haben sie jetzt auf die Bereiche konzentriert, in denen das notwendig ist, und haben ein besseres System geschaffen, Menschen in Arbeit zu bringen, zu qualifizieren, das System unbürokratischer zu gestalten, den Regelsatz angemessen zu erhöhen. Das sind Dinge, die konkret helfen, und deshalb bin ich froh, dass das gelungen ist.
Meurer: Hartz IV, Herr Heil, hat ja eine lange Geschichte, eine wichtige Geschichte für Ihre Partei, die Sozialdemokraten. Hilft das, was da gestern Abend beschlossen wurde, morgen vom Bundesrat dann komplett gemacht wird, der SPD, wirklich ihr altes Profil der sozialen Gerechtigkeit wiederzugewinnen?
Heil: Ich glaube, dass wir in den letzten Jahren eine ganze Menge getan haben, um mit einem starken Sozialstaat unser Land durch die Krise zu bringen - Stichwort Kurzarbeitergeld. Es ist wichtig, dass Leistung sich stärker im Bürgergeld auch lohnt, dass wir den Mindestlohn erhöht haben auf zwölf Euro im Oktober. Das sind alles Beiträge, die notwendig sind, um unsere Gesellschaft sozial zusammenzuhalten, und gerade in Krisen- und Kriegszeiten und auch in Zeiten von fundamentalem Wandel ist es klar, dass wir Sozialdemokraten für Sicherheit im Wandel stehen. Aber darauf kann sich auch jeder verlassen.
Mir geht es aber nicht um meine Partei, sondern mir geht es um die Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind, und mir geht es auch darum, dass wir nicht Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit geringem Einkommen gegen bedürftige Menschen ausspielen, denn wir müssen die gesamte Gesellschaft im Blick haben, um Deutschland nach vorne zu führen. Sozialer Fortschritt ist möglich, das zeigt auch das Bürgergeld.

"Richtig, dass wir jetzt einen modernen Sozialstaat schaffen"

Meurer: Geht es Ihnen auch darum, Herr Heil, dass Sie persönlich einen Fehler wettmachen wollen, nämlich dass Sie damals bei der Einführung von Hartz IV Gerhard Schröder und die ganzen Reformen unterstützt haben?
Heil: Mir geht es nicht um den Blick in den Rückspiegel. Wir hatten am Arbeitsmarkt 2003/4 eine ganz andere Situation mit Massenarbeitslosigkeit. Heute geht es um Arbeits- und Fachkräftesicherung. Ich habe auch erlebt, was schiefgelaufen ist in dem System. Es ist zu bürokratisch geworden. Es gab auch Urteile des Bundesverfassungsgerichts. Deshalb ist es richtig, dass wir jetzt einen modernen Sozialstaat schaffen, der nach vorne blickt, der auf der Höhe der Zeit ist, der dafür sorgt, dass die Aufgaben, die jetzt vor uns liegen, auch vom Sozialstaat bewältigt werden, nämlich Menschen besser und verlässlich abzusichern. Das gibt Grundsicherheit auch in Zeiten von rasanten Veränderungen. Aber es geht und ging mir immer darum, dass die Qualität des Sozialstaats sich nicht allein daran bemisst, wie hoch die soziale Unterstützung ist, sondern ob man Menschen in Arbeit zu einem selbstbestimmten Leben befähigt, und das ist jetzt mit dem Bürgergeld besser möglich als in der Vergangenheit.
Meurer: Gab es Parteifreunde, die auf Sie zugekommen sind, Herr Heil, und gesagt haben, damals warst Du für die Agenda-Politik, jetzt, bitte, tu was in Deiner Funktion und mach das wieder wett?
Heil: Nö!
Meurer: Ganz sicher niemand?
Heil: Nee! – Die SPD hat ja in den letzten Jahren sich auf die Übernahme von Regierungsverantwortung auch im Kanzleramt gut vorbereitet. Wir haben einen Prozess gehabt mit einem neuen Sozialstaatskonzept, das Grundlage auch für Koalitionsverhandlungen geworden ist. Wenn ich sehe, was wir uns vor Jahren auf die Fahnen geschrieben haben, nämlich das neue Bürgergeld zu schaffen, dann bin ich froh, dass das jetzt in Regierungsverantwortung auch umgesetzt wird. Es hilft sehr, sehr vielen Menschen in Deutschland. Darauf kommt es mir an. Jeder von uns kann erleben, dass sozialer Abstieg möglich ist. Dann hat man das Recht auf die Solidarität des Sozialstaats und das ist etwas, was wir als Versprechen erneuern mit dem Bürgergeld. Wir sorgen für Chancen und Schutz in Deutschland und das ist mir wichtig. Alles andere sind Betrachtungen, die andere anstellen mögen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.