Montag, 13. Mai 2024

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Kommentar zu Lulas Initiative
Chinas Rolle als Friedensstifter in der Ukraine unter Vorbehalt

Brasilien zeige mit der Ankündigung, sich für Friedensverhandlungen in der Ukraine einsetzen zu wollen, gestiegenes Selbstbewusstsein, kommentiert Stephan Detjen. Dass China dabei gebraucht werde, sei richtig - unter ganz bestimmten Voraussetzungen.

Ein Kommentar von Stephan Detjen | 04.02.2023
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wird von Luiz Inacio Lula da Silva vor dessen Amtssitz empfangen. Brasilien ist die letzte Station der Lateinamerika-Reise des Bundeskanzlers. Ziel der Reise ist es, die Zusammenarbeit mit Lateinamerika im Wettbewerb mit Russland und China zu stärken.
Bundeskanzler Olaf Scholz wurde von Brasiliens Präsident Lula da Silva von dem Vorschlag überrascht, sich um Friedensverhandlungen im Ukrainekrieg bemühen zu wollen (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
Mit seinem energisch vorgetragenen Vorstoß zu Friedensverhandlungen im Krieg gegen die Ukraine hat der brasilianische Präsident Lula da Silva den Bundeskanzler Anfang der Woche auf offener Bühne sichtlich überrascht. Olaf Scholz war es bis dahin gewohnt, dass seine Gesprächspartner im sogenannten globalen Süden den Krieg als weltweit störende aber für sie doch fernliegende Angelegenheit betrachteten. Aufstrebende Wirtschaftsnationen wie Indien, Südafrika oder Indonesien wollen sich nicht in einen Konflikt hineinziehen lassen, den der Westen aus ihrer Sicht allein und möglichst bald mit Russland lösen sollte. Viele, so auch Brasilien, haben traditionell enge politische und wirtschaftliche Beziehungen zu Russland und sind empfänglich für Putins Erzählung, nach der er sich in der Ukraine nur gegen ein westliches Expansions- und Dominanzstreben zur Wehr setzt.

Gewachsenes Selbst- und Machtbewusstsein der Schwellenländer

Lula aber geht nun einen Schritt weiter und kündigt an, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Wenn ihr das nicht hinbekommt, werden wir das eben regeln, war die Ansage an den Kanzler. Scholz wollte Lula für seinen Klimaclub gewinnen. Der erklärte, er werde jetzt erstmal einen Friedensclub gründen. Lula drückte damit ein gewachsenes Selbst- und Machtbewusstsein aus, mit dem sich Schwellenländer als umworbene Rohstofflieferanten und politisch eigenständige Akteure auf der Weltbühne positionieren.
Dass der brasilianische Präsident allein kaum als Friedensstifter in Europa erfolgreich sein kann, ist Lula bewusst. Er wies deshalb China die Schlüsselrolle in dem angestrebten Vermittlungsprozess zu. Doch dass der chinesische Staatschef Xi Jinping sich so einfach in den heiklen Vorsitz von Lulas Friedensclub drängen lässt, ist kaum zu erwarten. China hat in der Vergangenheit eine strikt an den eigenen Interessen ausgerichtete Außenpolitik verfolgt. Das Land strebt nach globaler Wirtschaftsmacht und politisch-militärischer Dominanz im asiatisch-pazifischen Raum. Um die Rolle einer globalen Ordnungsmacht hat sich China nie beworben.

Chinas Einfluss wird zur Befriedung des Krieges gebraucht

Dennoch ist nicht nur Lula da Silva klar, dass China für eine Eindämmung und Befriedung des Krieges in Europa gebraucht wird. Anfang November war Olaf Scholz nach Peking gereist, um Xi gleich nach dessen Machtausweitung beim 20. Volkskongress zu bitten, seinen Einfluss auf Putin geltend zu machen. Kurz vor Weihnachten telefonierte Bundespräsident Steinmeier eine Stunde lang mit Xi. Dass US Außenminister Blinken seine für diesen Sonntag geplante Reise nach Peking kurzfristig absagte, lag an einem Spionagevorfall. Blinken wird ebenso wie Bundesaußenministerin Baerbock die nächste Gelegenheit suchen, den neuen chinesischen Außenminister Quin Gang zu treffen. Es ist nicht zuletzt das Interesse an einem Engagement Chinas mit Blick auf den Krieg in der Ukraine, dass sie dazu drängt.
China ist dabei, seine Außenpolitik neu zu definieren. Experten erwarten, dass das Land nach einer Phase der konfrontativen, sogenannten Wolfskrieger-Diplomatie andere, zumindest im Ton konziliantere Ansätze suchen wird, um sein Gewicht international zum eigenen Nutzen einzusetzen. Die Ukraine bietet dafür Möglichkeiten. Schon jetzt hat China angekündigt, sich am Wiederaufbau des Landes zu beteiligen. Die Aussicht, ukrainische Eisenbahnnetzte oder Häfen an die neuen Seidenstraßenprojekte anzuschließen und damit indirekt auch von den milliardenschweren Infrastrukturhilfen aus dem Westen zu profitieren, ist verlockend.

Russischer Überfall muss von China als Unrecht markiert werden

Xi Jinping hat im Augenblick ein Interesse daran, dass Russland und der Westen ihre Kräfte gleichermaßen in der Ukraine binden. Aber es kann langfristig nicht in seinem Sinne sein, dass Europa zu einer Zone der Instabilität wird, in der sich auch für China keine lukrativen Geschäfte mehr machen lassen.
Was auch immer Xi bereit ist, für den Frieden in der Ukraine oder wenigstens gegen eine Eskalation des Krieges zu leisten, ist gut und hilfreich. Aber Olaf Scholz hat in der denkwürdigen Presskonferenz in Brasilia auch spontan und richtig darauf hingewiesen, dass jede Vermittlung Voraussetzungen haben muss: der russische Überfall muss als Unrecht markiert werden; die brutale Eroberung fremden Staatsgebietes darf sich nicht auszahlen; das Völkerrecht muss Maßstab der internationalen Ordnung bleiben. Wer sich für den Frieden in der Ukraine engagiert, muss am Ende auch bereit sein, Garantien für seine Einhaltung und die staatliche Integrität der Ukraine zu gewährleisten. Ein Friedensclub, der das nicht anerkennt, wird als Kartell von Mächten enden, die sich die Ukraine nur zur leichten Beute ihrer eigenen Interessen machen.
Stephan Detjen
Stephan Detjen
Stephan Detjen, Chefkorrespondent von Deutschlandradio. Studierte Geschichtswissenschaft und Jura an den Universitäten München, Aix-en-Provence sowie an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Rechtsreferendariat in Bayern und Redakteur beim Bayerischen Rundfunk. Seit 1997 beim Deutschlandradio, zunächst als rechtspolitischer Korrespondent in Karlsruhe. Ab 1999 zunächst politischer Korrespondent in Berlin, dann Abteilungsleiter bei Deutschlandradio Kultur. 2008 bis 2012 Chefredakteur des Deutschlandfunk in Köln. Seitdem Leiter des Hauptstadtstudios Berlin sowie des Studios Brüssel.