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Kommentar zur EU-Asylpolitik
Abschottung um jeden Preis

Asylverfahren an den EU-Außengrenzen verlagert Probleme nur, meint Franka Welz. Gelöst sind sie dadurch noch lange nicht. Diese unangenehme Wahrheit sollten Politiker aussprechen, statt sie zu verstecken.

Ein Kommentar von Franka Welz |
Ein überfülltes Boot voller Flüchtender schwimmt im Mittelmeer neben einem Boot der italienischen Küstenwache.
In Zukunft werden sie vor den Toren Europas Asyl beantragen müssen: Flüchtende auf dem Mittelmeer. (Imago/Hasan Mrad)
Auch beziehungsweise gerade unangenehme Wahrheiten müssen ausgesprochen werden. Aber davor drücken sich die Europäische Union und die Bundesregierung mit Blick auf den Asylkompromiss mit seinen geplanten Migrationsabkommen mit Drittstaaten wie Marokko, Tunesien oder Ruanda.
Denn dabei geht es in erster Linie um Abschottung, Menschenrechte sind Nebensache. Das Vorhaben stellt moralische Werte, die Europa und insbesondere Deutschland so gern vor sich hertragen, dauerhaft infrage.

Drecksarbeit wird outgesourct

Die Drecksarbeit, Menschen in Not von Europa fernzuhalten, wird gegen viel Geld an Regime outgesourct, die schon mit ihren eigenen Bürgerinnen und Bürgern wenig zimperlich umgehen, von Menschen auf der Flucht ganz zu schweigen. Das kann man so machen, sollte es dann aber auch ganz klar benennen und sich den Fragen stellen, die sich daraus ergeben.
Mit welchen Partnern man sich ins Bett legt, von wem man sich abhängig macht, zum Beispiel. In Tunesien schleift der zunehmend autokratisch agierende Präsident Saied die Demokratie. Er hetzte gegen Migranten aus afrikanischen Ländern südlich der Sahara, sprach von „Horden“ und von Kriminellen. Wiederholt gab es Berichte von Gewalt und Verfolgung, viele Migranten sollen seither Angst um ihr Leben haben. „Sicherer Drittstaat“ klingt anders. Ein Preis, den Europa offenbar nur zu gern zahlt.
Welches Erpressungspotenzial einer Auslagerung der Grenzkontrollen innewohnt, zeigt Marokko. 2021 ließen marokkanische Sicherheitskräfte in der spanischen Exklave Ceuta zunächst Tausende Migranten passieren. In Spanien war man davon überzeugt, dass Rabat die Grenzkontrollen gelockert oder gar ausgesetzt hatte, um die Regierung in Madrid im Streit über die Konfliktregion Westsahara unter Druck zu setzen.

Geld für Migrationssteuerung

Marokko beansprucht große Teile der ehemaligen spanischen Kolonie und diese Strategie hat offenbar funktioniert. Denn nachdem Spanien sich in der Westsahara-Frage jahrzehntelang neutral verhalten hatte, unterstützte der sozialdemokratische Ministerpräsident Sánchez im vergangenen Jahr plötzlich Marokkos Vorschlag, die Westsahara als autonome Region ins marokkanische Staatsgebiet einzugliedern.
Und auch hier fließt natürlich Geld. Mehr als eine halbe Milliarde Euro wurde Marokko bisher für seinen Beitrag zur Migrationssteuerung zugesagt.
Wie die aussieht, lässt sich in Spaniens nordafrikanischer Exklave Melilla beobachten. Dort kam es vor ziemlich genau einem Jahr zur Katastrophe. Mehr als 20 Menschen starben bei dem Versuch, die martialischen Grenzanlagen zu überwinden. NATO-Draht, hohe Zäune, dazwischen tiefe Gräben.
Augenzeugen berichten, es sei wie eine Schlacht gewesen, als marokkanische und spanische Grenzschützer Flüchtlinge daran hinderten, EU-Gebiet zu erreichen. Viele sitzen seitdem in Gefängnissen. Andere leben in den umliegenden Wäldern und warten. Armut, Hunger und Perspektivlosigkeit: für viele Geflüchtete die bittere Realität vor den Toren des reichen Europas.

Das Sterben geht weiter

In Melilla war auch die mögliche Extremversion sogenannter Grenzverfahren zu sehen – eigentlich beschleunigte Verfahren für Menschen mit geringen Chancen in der EU einen Schutzstatus zu bekommen. Zahlreiche Geflüchtete, teils verletzt, auch das zeigen verifizierte Videos, wurden umgehend nach Marokko zurückgeschickt, ohne die Chance, um Asyl zu bitten.
Währenddessen geht das Sterben auf den Seewegen weiter. Auf dem Mittelmeer, wie zuletzt bei der Tragödie mit Hunderten Toten vor der griechischen Küste, auf der Atlantikroute in Richtung Kanaren.
Von zahlreichen Unglücken erfährt die Öffentlichkeit erst gar nicht, weil Boote einfach verschwinden. Währenddessen verzeichnet die Welt Jahr für Jahr neue Flüchtlingsrekorde: Ende vergangenen Jahres waren weltweit mehr als 108 Millionen Menschen auf der Flucht, hat das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) ermittelt.
Ein Armutszeugnis für den Zustand der Welt, so nannte das der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi. Es gebe immer mehr Krisen, aber kaum Lösungen. Auch diesen Schuh müssen sich EU und Bundesregierung ebenfalls anziehen, denn die Strategie der Abschottung um jeden Preis verlagert das Problem bestenfalls, löst jedoch nichts. Auch das gehört zur Wahrheit.