Sonntag, 19. Mai 2024

Fußball-WM in Katar
Welche Nachhaltigkeitsversprechen haben die FIFA und Katar gehalten?

Es sollte die erste klimaneutrale WM werden, mit dem ersten recycelbaren Stadion: Vor der Fußball-WM 2022 in Katar haben die Organisatoren und die FIFA viel versprochen. Ein Besuch ein Jahr später zeigt, dass sie bis jetzt wenig gehalten haben.

Von Maximilian Rieger | 16.12.2023
Außenansicht auf das 974-Fußballstadion in Katar.
Das 974-Stadion in Katar wurde extra für die Fußball-WM 2022 gebaut – als angeblich nachhaltiges Vorzeigeprojekt, weil es nach dem Turnier ab- und an anderer Stelle wieder hätte aufgebaut werden sollen. Doch ein Jahr nach der WM steht es immer noch an Ort und Stelle – und größtenteils leer. (IMAGO / Pixsell / IMAGO / Igor Kralj / PIXSELL)
Auch ein Jahr nach der WM hat das Stadium 974 immer noch etwas Spielerisches an sich. Das liegt vor allem an den 974 roten, gelben, blauen, grauen und grünen Schiffscontainern, die in der Arena verbaut sind – und ein bisschen wie Lego aussehen.
Und wie ein gutes Lego-Set sollte auch das Stadion nach den sieben WM-Spielen auseinandergebaut und woanders wiederaufgebaut werden. Das war das Versprechen der WM-Organisatoren und des FIFA-Präsidenten Gianni Infantino: "Es ist Teil von dem Erbe der WM, von der Nachhaltigkeit der WM. An die Umwelt zu denken und nicht nur weiße Elefanten zu bauen, die nicht wieder genutzt werden. Dieses Stadion wird wiederverwendet werden."

Ungenutzte Fußballstadien als Investitionsruinen

Für einen weißen Elefanten ist das Stadium 974 zwar ziemlich bunt. Aber es scheint trotzdem eine Investitionsruine zu werden. Denn auch ein Jahr nach WM-Ende steht die WM-Arena immer noch im alten Hafen von Doha. Die flachen Gebäude, in denen während der Weltmeisterschaft die Sicherheitschecks stattgefunden haben, sind menschenleer.
Zu sehen sind eingepackte Gepäckscanner beim Stadium 974.
So wie die Stadien und Parkplätze vor allem leer und ungebraucht sind, geht es auch diesen Gepäckscannern beim Stadium 974: Eingepackt in Folie warten sie darauf, noch mal irgendwann gebraucht zu werden. (Maximilian Rieger / Deutschlandfunk)
Durch die Scheiben sind Gepäckscanner zu sehen – verpackt in Plastikfolie. Sie werden so schnell hier nicht mehr gebraucht. Beim Asiencup im Januar wird das Stadion als Trainingsstätte dienen. Ansonsten steht es leer.
Dadurch könnte das Stadium 974 genau das Gegenteil von dem bewirken, was geplant war, sagt Nachhaltigkeits-Experte Gilles Dufrasne, der für eine NGO namens Carbon Market Watch die Nachhaltigkeits-Versprechen der WM analysiert hat. Er sagt:
"Wir haben nur das Versprechen der Organisatoren, dass das Stadion tatsächlich umziehen und wiederverwendet wird – was im Grunde die Bedingung ist, damit das Stadion überhaupt zu einem gewissen Grad nachhaltig sein kann. Denn dieses Stadion zu bauen, hat mehr CO2 verursacht als der Bau eines normalen Stadions. Wenn sie es also gar nicht bewegen, dann ist es nicht nur keine grüne Arena, sondern schmutziger als ein Durchschnittsstadion."
Das Stadium 974 ist das offensichtlichste Zeichen dafür, dass sich die Organisatoren schwertun, ihre Versprechen einzuhalten. Zum Beispiel sollten fast alle anderen WM-Stadien nach dem Turnier verkleinert werden. Denn einen Bedarf für Arenen mit 40.000 oder mehr Sitzplätzen gibt es in Katar im Alltag nicht. Die meisten Spiele der katarischen Liga finden in kleineren Stadien statt – und selbst die sind nicht voll. Das Topspiel der Liga am vergangenen Wochenende (09.12.2023) haben rund 4.000 Fans besucht, viele von ihnen mit einer der 2.000 Freikarten, die verteilt wurden.
Nennenswerte Umbauarbeiten hat es aber bisher an keinem der WM-Stadien gegeben. Zumindest dafür gibt es einen guten Grund: Die meisten werden im Januar für den Asiencup als Spielorte genutzt. Katar ist als Gastgeber für China eingesprungen. Das Eröffnungsspiel und das Finale finden zum Beispiel im Lusail-Stadion statt – dort, wo Lionel Messi vor einem Jahr den WM-Pokal in die Höhe gereckt hat.

Braucht Katar dauerhaft große Fußball-Arenen?

Einen Monat vor Beginn des Turniers errichten Arbeiter auf dem Parkplatz vor dem Stadion große, weiße Zelte. Das gold-strahlende Bauwerk steht inmitten einer schwarzen Asphalt-Wüste – und das Wohngebiet direkt daneben sieht ziemlich trostlos aus.
Man sieht eine Aufnahme mit dem Lusail-Stadion im Sonnenuntergang, umgeben von einem gigantischen, leeren Parkplatz.
Erst wieder im Januar gebraucht: Das Lusail-Stadion steht leer, bis das Eröffnungsspiel und das Finale des Asiencups dort stattfinden. (Maximilian Rieger / Deutschlandfunk)
Müll an den Straßenecken, vergilbte WM-Werbung. Und immer noch wird gebaut, das Beton-Gerippe einer Mall steht in Sichtweite des Stadions. Das Lusail sollte eigentlich Mittelpunkt des gleichnamigen Stadtviertels werden. Bis jetzt scheint das nicht der Fall zu sein.
Das Bild zeigt eine Aufnahme mit dem Lusail Stadion im Hintergrund und einer Hochhaus-Baustelle im Vordergrund.
Um das Lusail-Stadion sollte im Sinne der Nachhaltigkeit ein Stadtviertel entstehen - ein Jahr nach der WM ist es immer noch eine trostlose Baustelle. (Maximilian Rieger / Deutschlandfunk)
Trotz des Asiencups stellt sich deswegen weiterhin die Frage: Braucht das Land wirklich dauerhaft so viele große Arenen?
Die Fragen des Dlf zur weiteren Nachnutzung der Stadien ignoriert das Organisationskomitee allerdings. Einzig die Qatar Foundation, der das Education City Stadium gehört, antwortet auf Deutschlandfunk-Anfrage: Es gebe Pläne, das Stadion werde nach dem Asiencup in einen Ort verwandelt werden, an dem Mädchen und Frauen sich sportlich betätigen können, samt einer Sportakademie.
Mit welchem Mindset die Organisatoren in Katar insgesamt an den Bau der WM-Stadien herangegangen sind, zeigt eine Aussage des damaligen Luisal-Managers bei einer Stadionführung kurz vor der WM: "Die Umwelt und das Klima diktieren an keinem Ort der Welt das Recht der Bevölkerung, zu wachsen und voranzuschreiten. Damit soll nicht die Wichtigkeit von Nachhaltigkeit kleingeredet werden. Es hat massive Anstrengungen dafür gegeben, sowohl ökologisch als auch wirtschaftlich. Es ist das Recht dieses Landes, weiter zu wachsen und sich zu entwickeln."

FIFA arbeitet noch am Nachhaltigkeitsbericht

Und trotz all dieser ambitionierten Ziele haben die FIFA und die katarischen Organisatoren zudem versprochen: Die WM wird klimaneutral. Für den Nachhaltigkeits-Experten Gilles Dufrasne ein Ziel, das nur verfehlt werden konnte: "Wenn man ehrlich ist, ist es nicht realistisch, zu sagen, dass man so ein Event auf eine Art organisieren kann, die komplett neutral für das Klima ist. Was die FIFA versprochen hat, ist also praktisch nicht erreichbar. Aber auch die konkrete Umsetzung ist in diesem Fall sehr problematisch."
Denn die FIFA will die CO2-Emissionen, die durch die WM verursacht worden sind, dadurch kompensieren, dass sie Projekte finanziert, die CO2 einsparen. Diese Projekte sind aber oftmals Solarparks oder Windkraftanlagen – nach gängiger Experten-Meinung keine geeigneten Projekte zur CO2-Kompensation. Zudem kommt Dufrasne in seiner Analyse zu dem Schluss, dass die FIFA den CO2-Fußabdruck in ihrer Vorab-Berechnung kleingerechnet hat.
Zu sehen ist eine Aufnahme von einer vergilbten WM-Werbung beim Lusail-Stadion in Katar.
Dass in Lusail das Finale der Fußball-WM 2022 stattfand, zeigen noch ein paar vergilbte Plakate. (Maximilian Rieger / Deutschlandfunk)
Wie groß der CO2-Fußabdruck des Turniers ist, steht auch ein Jahr später noch nicht fest. Die FIFA teilt auf Deutschlandfunk-Anfrage, sie arbeite noch am Nachhaltigkeitsbericht.

Nachhaltigkeits-Experte: "FIFA hat nichts gelernt"

Für Dufrasne steht aber bereits mit Blick auf die nächste WM in Kanada, Mexiko und den USA fest: Klimaschutz ist bei der Vergabe von WM-Turnieren für die FIFA Nebensache.
Er prognostiziert: "Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass die nächste WM noch schlimmer wird, weil es sehr viel mehr Flüge geben wird, weil die Teams und die Fans zwischen drei verschiedenen Ländern hin und herreisen müssen. Was den Einfluss aufs Klima angeht, hat die FIFA nichts gelernt."