Das ist ein guter, ein kluger und ein wichtiger Beschluss. Das Bundesverfassungsgericht hat, nicht das erste Mal, die Parlamentsrechte gestärkt, diesmal in einem ganz zentralen Punkt: bei den Beratungsrechten des Parlaments. Das Gericht hat die hastig anberaumte Entscheidung über das Heizungsgesetz gestoppt.
Inhaltlich hat Karlsruhe zu diesem wichtigen Gesetz gar nichts gesagt. Es hat nur gesagt, dass das Parlament, genauer: dass jeder Abgeordnete ausreichend Zeit haben muss, die geplanten neuen, grundlegenden Regeln zu kennen und zu studieren, bevor er darüber abstimmt. Aber das ist von großer Bedeutung.
Die Opposition, an der Spitze Friedrich Merz von der CDU, redet von einer Klatsche für die Ampel, von einer herben Niederlage der Regierungskoalition unter Scholz und Habeck. Das stimmt zwar auch, durchaus, ist aber nicht das Entscheidende. Entscheidend ist: Das Bundesverfassungsgericht verbietet eine Gesetzgebung im Schweinsgalopp.
Es wendet sich dagegen, dass Recht im Hauruck-Stil durchgepeitscht wird. Wenn das so ist, und es war und ist oft genug so, degeneriert das Parlament zum Abnickverein. Das darf nicht sein, das ist eine Sünde, eine Todsünde wider die parlamentarische Demokratie.
Parlament ist das Zentrum des demokratischen Lebens
Solche Todsünden hat auch die CDU/CSU schon zuhauf begangen, die den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts jetzt feiert. Jede Regierung der vergangenen Jahrzehnte hat immer wieder so getan, als sei das Parlament nur ein Störer bei der Lösung wichtiger Fragen.
Das Parlament ist aber das Herz der Demokratie. Wenn dieses Herz falsch schlägt oder aussetzt, wird die Demokratie krank.
Nicht die Besprechungszimmer der Regierung, nicht die Beratungstische der Ministerien, nicht die Kabinettssitzungen, auch nicht die Abendtalkshows im Fernsehen sind das Zentrum des demokratischen Lebens. Das Zentrum des demokratischen Lebens ist das Parlament. Wenn dort nicht genügend Zeit für Beratungen ist, leidet die Transparenz, leidet die öffentliche Kommunikation, leidet die Demokratie.
Blinde Zustimmung für Sicherheitsgesetze nach 9/11
Sie leidet schon lange: Als das Parlament im Dezember 2001 über das gigantische Sicherheitspaket des damaligen Innenministers Otto Schily abstimmen musste, duldete Schilys Zeitplan keine ordentliche Beratung.
Buchstäblich bis zur letzten Sekunde wurde zwischen den damaligen Regierungsparteien Rot und Grün einerseits und Schily und den Bundesländern andererseits verhandelt. Das Parlament stimmte über ein Gesetzespaket ab, das kaum einer kannte. Kaum einer blickte durch, aber fast alle waren dafür. Es war die Abstimmung über die tiefgreifenden Sicherheitsgesetze nach 9/11.
Als im Jahr 2008 ein 400-Milliarden-Euro-Paket zur Rettung der Banken verabschiedet wurde, hatte der Bundestag dafür genau vier Tage Zeit. Und in gleicher Hast wurde 2010 das Milliarden-Hilfspaket für Griechenland gepackt.
Das Argument, das es schnell gehen musste, kann die notwendige Sorgfalt nicht ersetzen. In der Corona-Zeit war das Parlament der Exekutive so lästig, dass man es meist gleich gar nicht mit den rigiden Corona-Bekämpfungsmaßnahmen befasste. Die Corona-Politik war dementsprechend – schlecht.
Gesetzgebungsverfahren einhalten - für gute Gesetze
Seitdem Otto von Bismarck die Herstellung von Gesetzen mit der Herstellung von Würsten verglichen und davon gesprochen hat, dass man bei näherer Kenntnis des Zustandekommens nicht mehr ruhig schlafen könne – seitdem gilt das als Ausrede dafür, es dabei nicht so genau zu nehmen.
Man wird mit solcher Lässigkeit weder den Würsten noch den Gesetzen gerecht. Ohne penible Beachtung des Herstellungsverfahrens gibt es weder gute Wurst noch gute Gesetze. Wer auf die Einhaltung der Grundregeln drängt, ist kein Paragrafenreiter und kein Pfennigfuchser, sondern ein guter Demokrat.
Es gilt, eine Kunst wieder zu lernen, die in einer Demokratie wichtig ist: die Gesetzgebungskunst. Das Bundesverfassungsgericht hat soeben einen Beitrag dazu geleistet.