Die Wirklichkeit braucht neue sinnstiftende Erzählungen, denn Handlungen sind oft durch Erzählungen und Bilder geleitet. Gleichzeitig gilt, was der Schriftsteller Amitav Ghosh sagt: „Die Klimakrise ist auch eine Krise der Kultur und deshalb eine der Imagination.“
Auch wenn die Folgen des Klimawandels nicht mehr zu übersehen sind und das Thema allgegenwärtig ist, fehlt uns das Vorstellungsvermögen dafür, was der Klimawandel bedeutet. Um den Mut aufzubringen, eine Welt im Wandel zu denken, braucht es neue Imaginationen und neue Geschichten.
Birgit Schneider bringt Perspektiven und Stimmen zusammen und eröffnet neue Denkräume für die vielen kulturellen Facetten des Klimawandels jenseits von globaler Durchschnittstemperatur oder Kipppunkten. Sie versucht, Antworten auf die Frage zu finden, wie sich Menschen in den gemäßigten Breiten den Klimawandel vorstellen, welche Imaginationen und Geschichten sie dabei leiten. Sie stellt Perspektivwechsel, Widerspruch und auch ungewöhnliche Sichtweisen heraus, die unsere begrenzte Vorstellungskraft zu weiten vermögen. Denn um die Lücke zwischen Wissen und Handeln zu überwinden, macht es einen großen Unterschied, wie wir uns den Klimawandel erzählen.
Birgit Schneider ist Professorin für „Wissenskulturen und mediale Umgebungen“ an der Universität Potsdam. Im Zentrum ihrer Forschungen steht das Verhältnis von Ökologie und Medien. Bekannt geworden ist sie mit ihren Büchern „Klimabilder – Eine Genealogie globaler Bildpolitiken von Klima und Klimawandel“ (2018) und, jüngst, „Der Anfang einer neuen Welt. Wie wir uns vom Klimawandel erzählen, ohne zu verstummen“ (2023).
Damit uns nicht die Wörter ausgehen – Auf der Suche nach Erzählformen für die Klimakrise
Die Folgen der Erderwärmung rücken uns immer mehr auf den Leib. Mit jeder Flut oder Hitzewelle, aber auch mit jedem neuen Rekordwert in den Nachrichten, kann die Stimmung in eine Abwärtsspirale kippen, an deren Ende viele verstummen, weil in diesen Entwicklungen eine destabilisierte Welt aufscheint, die uns Angst macht. Das Verstummen erscheint zunächst widersprüchlich, denn seit ein paar Jahren gibt es wenige Themen, über die so viel geredet wird wie über den Klimawandel. Die globale Erwärmung ist ein Gemeinplatz geworden. In Deutschland haben die Bewegung Fridays for Future seit 2018 und die Letzte Generation seit Ende 2021 bewirkt, dass das Thema fast jeder, fast jedem und mitunter täglich gegenwärtig ist.
Doch selbst wenn darüber so viel gesprochen und geschrieben wird, gibt es eine Schwelle, über die all diese Wörter nicht gelangen. Es ist, als müssten wir mit der Diagnose einer unheilbaren Krankheit leben. Ein Drama ohne Happy End. Schnell in den Modus der Hoffnung wechseln: Jeder kann etwas tun. Die Techniken sind doch da! Doch der Zweifel bleibt. Denn es sind keine Lösungen in Sicht, die mit dem Tempo der Erwärmung Schritt halten können – jedes Jahr erreichen die Emissionen einen neuen Rekord. Folgeprobleme technischer Lösungen sprengen ebenfalls jeden Rahmen, und schließlich ist das Phänomen auch noch global. Oder wir landen in verkeilten Streitgesprächen. Weiterhin gilt: Schnell das Thema wechseln, um der Resignation keinen Raum zu geben! Zu düster und hoffnungslos sind diese Vorstellungen.
Wenn ich heute zum Thema der Erzählungen spreche, muss ich zunächst meinen Begriff von Erzählungen erläutern. Ich nutze einen weiten Begriff, der Erzählungen in ganz verschiedenen Formaten einschließt und nicht alleine mündlich oder schriftliche gefasste Erzählungen meint. Erzählungen existieren auf der Ebene von einzelnen Wörtern: Das Wort Klimawandel im Gegensatz zu Klimakrise beinhaltet zwei verschiedene Erzählungen: Im einen Fall setzt die Metapher des Wandels eine neutrale Erzählung in Gang, die im Deutschen sogar etwas positives bedeuten kann, einen Prozess, bei dem eine Veränderung eintritt. Der Begriff Klimakrise ersetzt die neutrale Vorstellung durch eine Erzählung des Klimawandels als negative Auswirkung auf alle Bereiche des Lebens auf diesem Planeten. Erzählungen finde ich aber auch in Bildern, in wissenschaftlichen Kurven des Klimawandels, in Romanen, in der Kunst oder in der Werbung. All diese Formate erzählen den Klimawandel als ein Prozess zwischen einem Anfang und einem Schluss. Erzählungen sind eine allgemeine kognitive Struktur, in der Menschen auch jenseits der Sprache denken, die in ganz verschiedenen Formaten realisiert sein kann und jeweils einen anderen Sinn ergibt. Dieser weit gefasste Begriff von Erzählung erlaubt mir, auch die Vorstellungskraft mit einzubeziehen, also das, was wir überhaupt fähig sind zu denken.
Wenn ich in meinem Vortrag „Wir“ sage, meine ich Gesellschaften wie die Deutsche, die in den gemäßigten Zonen in einer Industriegesellschaft leben.
Krise der Imagination
„Die Klimakrise ist auch eine Krise der Kultur und deshalb eine der Imagination“, schreibt der indische Autor Amitav Gosh. Der Schriftsteller meint, dass eine Auseinandersetzung mit dem Klimawandel voraussetzt, in Bildern denken zu können. Andersherum kann es ein Denken in Bildern nur geben, indem die Imagination die Krise überwindet. Wenn wir aber über die Krise der Imagination hinwegkommen wollen und in Zeiten der globalen Erwärmung positive Erzählungen anschaubar machen wollen, müssen wir zunächst die problematischen Fundamente unserer bisherigen Zukunftserzählungen genau betrachten. Denn wenn man die Deutungshoheit der alten Fundamente nicht infrage stellt und ihre Gewissheiten nicht aufweicht oder durchbricht, können die Imaginationen und das Denken nicht abseits bekannter und gefestigter Geländer verlaufen. Ein „Denken ohne Geländer“, wie Hannah Arendt es formulierte, ein Denken, das alternative Akteure und neue Bezugssysteme einbezieht, ist so unmöglich. Die Imagination bleibt eingeengt zwischen festen Schranken. Die Antwort auf die Frage, wie wir in die heutige Situation geraten sind, ist ein Beitrag, den insbesondere kritische Perspektiven wie die Geisteswissenschaften leisten können. Haben wir dafür die Zeit? Nein. Aber wir müssen dies trotzdem tun.
Was die Klimakrise betrifft, scheitert die Imagination jedoch an mehreren Stellen.
Als ich begann, mir die wissenschaftlichen Bilder vom Klimawandel seit den ersten Klimaberichten anzuschauen, stieß ich bald auf einen großen Widerspruch. Auch wenn diese Bilder von Temperaturanstiegen und Meereisrückgang alles zu zeigen scheinen, was wir über die Klimazukunft wissen können, sprengen sie unsere Vorstellungskraft. Die farbigen Kurven übersteigen unser Imaginationsvermögen, sie sind als Ereignis zu groß und zu maßlos, um erfasst und begriffen zu werden. Auch in den erfolgreichsten Bildern, die uns den Wandel des Klimas besonders eindrucksvoll zeigen, klafft eine Lücke, tut sich ein Abgrund auf.
Die Botschaft ist so identitätserschütternd, dass sie in ihrer überbordenden Bedeutung dennoch bedeutungslos bleibt. Und zudem sind wir selbst die Hand, die uns in Richtung Abgrund schiebt. Die Natur, die wir in diesen Bildern erkennen, ist nicht mehr „erhaben“, sondern „überschwellig“. Mit diesem Wort beschrieb der Philosoph Günther Anders den Zustand, in dem menschengemachte Ereignisse jenseits der Grenzen liegen, die sich fühlen lassen – als Pendant zum Unterschwelligen. Das Überschwellige hat sich gegenwärtig mit zahlreichen Ereignissen und neuen Rekordwerten verbunden, es geht einher mit der neuen Normalität der Anomalie. Dies gilt nicht nur für die abstrakten Bilder, sondern auch für Bilder der Klimawandelfolgen wie Fluten und Waldbränden von monströsem Ausmaß, die inzwischen jeder und jede in ihrem Kopf mit sich trägt. Wenn wir diese Bilder immer wieder sehen, werden sie zudem transparent, wir stumpfen ab und schauen durch sie hindurch, irgendwann erreichen sie uns weder visuell noch mental, sie werden, wie die Climate Stripes, zu einem Logo und Emblem, das sich auf Tassen drucken lässt und zu dem es inzwischen Stricksets für Schals aus Wolle gibt.
Stellen wir uns vor die meisten Staaten der Erde schalten in den kommenden fünf Jahren ihre fossilen Technologien ab und werden klimaneutral. Zudem gelangen die Technologien, die CO2 in großem Stil wieder aus der Luft entnehmen, dank immenser Förderung und internationaler Zusammenarbeit zur Marktreife. Auf diese Weise gelingt es, Hunderte von Gigatonnen CO2 und andere Treibhausgase wieder aus der Atmosphäre zu entfernen. Deutschland schafft außerdem Einsparungen, weil nicht mehr Konzerne, sondern die Gemeinden selbst Windkrafträder und Solarpanels besitzen, also ihren eigenen Strom vor Ort erzeugen. Eingespart wird auch, weil der öffentliche Verkehr inzwischen so gut organisiert ist, dass Autos unattraktiv geworden sind. Gegen die Erhitzung sind Straßen und Dächer in vielen Städten inzwischen weiß bemalt, außerdem wurde viel Teer auf diesen Straßen und Plätzen durch Grün ersetzt. Die Städte sind im Sommer nicht nur kühler, sondern es wird auch mehr Regenwasser gesammelt. Die Farbe des Himmels wiederum ist seit ein paar Jahren phasenweise etwas milchig. Denn immer wieder injiziert die EU mittels Ballons große Mengen von Partikeln in die Atmosphäre, die die Sonneneinstrahlung reduzieren. Dafür sind die Sonnenuntergänge durch die Reflexion der Staubnebel glutrot und prachtvoll.
An derartigen Szenen lässt sich prüfen, welche Erzählungen für uns glaubhaft und plausibel sind und welche unrealistisch erscheinen, welche wir uns wünschen und welche uns mit Freude oder Ängsten erfüllen. Welchen Unterschied macht es, wie wir uns die Zukunft, die Transformationen und die Veränderungen unserer Welt erzählen? 2018 sprachen in Deutschland plötzlich alle über den Klimawandel. Das Thema war endlich ganz oben auf der Agenda, nicht nur auf den Wissenschaftsseiten von Zeitungen oder anlässlich einer neuen Klimakonferenz. Gleichzeitig wurde der Ruf nach neuen Narrativen in den letzten Jahren immer lauter. From story to action: Gemeinden, Unternehmen, NGOs, Politiker:innen, Kampagnenmachende und Werbeleute meinen, dass eine gemeinsame, starke Erzählung endlich zur Umsetzung der Klimaziele führen würde.
„Wir wollen ein fossilfreies Leben innerhalb einer Generation ermöglichen.“ So lautet seit einigen Jahren der Text auf einer Serie von Werbetafeln der Firma Vattenfall an einem der meistbefahrenen U-Bahngleise einer deutschen Großstadt. Die Bebilderung der Kampagne zeigt junge Menschen an einem deutschen Strand, grüne Energiewendelandschaften. Ein Energieunternehmen wirbt damit, sich selbst auf dem Weg in eine fossilfreie Zukunft neu zu erfinden. Seine Werbestrateg:innen ersinnen eine Zukunftskampagne für ein fossilfreies Deutschland, als wären sie es, die das Bundes-Klimaschutzgesetz bewerben müssten, in dem genau dieses Ziel als Gesetz formuliert ist. Visionen für eine CO2-neutrale Welt werden derzeit eher in der Werbung als in der Zivilgesellschaft oder der Politik entworfen, so lautet eine mögliche Erklärung. An dieser Art der Werbung zeigt sich aber auch: Ausgangssituation und Ziele werden klar benannt. Allein der Weg dorthin bleibt vage und offen.
Narrative besitzen Macht, sie machen Politik. Denn es macht einen großen Unterschied, welche Erzählung, welches Narrativ gewählt wird. Die Weltuntergangserzählung folgt einem anderen Narrativ als die Erzählung technischer Lösungen oder grünen Wachstums. In Kriegszeiten sind Narrative Teil von Desinformation, Propaganda und Mobilmachung. Weil Begriffe wie ‚Narrativ‘, ‚Mindset‘ ‚Storytelling‘ und ‚Framing‘ seit einigen Jahren als buzzwords allgegenwärtig sind, erachte ich es als essentiell, zunächst zu fragen, was Erzählungen leisten können und was ihre Grenzen sind, aber auch, wann sie problematisch werden. Sonst werden diese Begriffe zu einem leeren Zentrum, das sich mit ganz unterschiedlichen Erwartungen füllen lässt. Wer beginnt, über Narrative nachzudenken, merkt aber auch, dass plötzlich fast alles, was wir über den Klimawandel kommunizieren, zu einem Narrativ wird oder zumindest Teil eines solchen ist. Wir müssen uns als Gesellschaft fragen, warum der Begriff des Narrativs aktuell eine solche Konjunktur hat, was für Hoffnungen, Deutungen und Erwartungen sich in diesem Wort eigentlich bündeln.
Wenn seit einigen Jahren der Ruf nach neuen Erzählungen und Methoden des Storytelling, also des Geschichtenerzählens, im Bereich der Klimawandelkommunikation immer lauter wird, dann liegt dies an einem Dreiklang von Gründen. Erstens konnte die Erzähl- und Kognitionsforschung zeigen, wie sehr Menschen in Erzählungen denken. Geschichten sind eine der wichtigsten Formen, um sich die Wirklichkeit zu erschließen, um Themen in Form von sinnstiftenden Erzählungen zu begreifen. Erzählformate vermögen es, Neues oder Erlebtes in Kategorien zu bringen. Sie erklären aus der Vergangenheit, warum etwas so geworden ist, wie es ist, aber sie entwerfen gleichzeitig, was deshalb für die Zukunft erwartet werden kann. Jede Erzählung ist eine Suche nach Sinn und beeinflusst, wie wir die Welt wahrnehmen und deuten.
Weil es zweitens die Gesellschaft bislang nicht geschafft hat, sich in Richtung einer CO2-Neutralität zu transformieren, da also das Wissen allein nicht zu genug Handeln führt, hoffen viele Akteur:innen, den Wandel über neue Narrative, also neue Sichten auf die Wirklichkeit anzuregen – vom Erzählen zum Handeln. Denn Handlungen sind oft durch Erzählungen und Bilder geleitet. Dabei kommt zum Tragen, dass Narrative immer bestimmte Gefühle und Werturteile transportieren, also normativ wirken. Darauf bauen Demokratien auf, weil sie den Wandel nur mit großem Rückhalt in der Gesellschaft vorantreiben können. Die Narrative müssen dabei transparent in ihren Zielen wie in ihren Motiven sein. Dies unterscheidet sie von Narrativen im Kontext der „dunklen Propaganda“, die ihre eigentlichen Ziele verschleiert und Narrative als Waffe nutzt. Wenn grundsätzlich gilt, dass Narrative unser Handeln prägen, gilt es diesen Zusammenhang zu nutzen, also zunächst das Denken zu verändern: Change your mind and the rest will follow. Die seit einigen Jahren hohe Konjunktur des Begriffs ‚Narrativ‘ steht mithin für ein weit verbreitetes Vertrauen in die Macht von Narrativen, also Ideen in Form von Bildern und Worten: Wenn ich schon nicht die Macht habe, die Wirklichkeit direkt zu verändern, kann ich diese Veränderung mit anderen Narrativen zumindest auf den Weg bringen. Nachhaltigkeit etwa könnte erreicht werden, indem positive Imaginationen von Zukunft geschaffen werden, also zum Beispiel nicht als Verzicht, sondern als ein besseres und einfacheres Leben und neue Formen der Gemeinschaft.
Im Fall der globalen Erwärmung sollen deshalb drittens nicht mehr Katastrophengeschichten erzählt werden, die ohnmächtig machen, sondern positive und konstruktive Geschichten, die motivieren und ermächtigen, anstatt zu bremsen. Die globale Erwärmung soll in ein anderes Narrativ gefasst, neu erzählt werden. Derartige neue Geschichten werden zurzeit händeringend gesucht. Wer aber kann und soll diese Erzählungen erfinden? Zu Erzählenden machen sich Transformationsdesigner:innen, Kommunikationsagenturen, Umweltkommunikator:innen und viele andere.
Was die Begriffe andeuten: Beim Wunsch nach neuen, großen Narrativen muss jedem klar sein, dass diese immer mit Ideologien verschwimmen, da es um nicht weniger als neue Paradigmen und Normen für eine Gesellschaft geht. All diese Begriffe haben eine große Schnittmenge. Um zu verstehen, wann Narrative zu Ideologien werden, hilft abermals die Erzähltheorie. Eine Erzählung setzt Ereignisse in Beziehung, sie bringt Geschehnisse in eine kausale oder chronologische Abfolge. Dies geschieht im Kleinen wie im Großen. Kulturelle Narrative, also übergeordnete Erzählungen, die lange herrschend sind, bestimmen, wie Menschen einer Gesellschaft über ein Thema denken und was sie fühlen. Der französische Philosoph François Lyotard nannte sie „Metanarrative“ oder „Meistererzählungen“. Als eine solche fasste er zum Beispiel die Vorstellung „Gott ist allmächtig“. Dabei sind Metanarrative historisch wandelbar und unterscheiden sich kulturell. Welche Narrative als glaubwürdig oder aber als unrealistisch gelten, hat wiederum viel damit zu tun, wie etabliert und legitimiert eine Erzählung in einer Gesellschaft ist. Denn Erzählungen besitzen eine unterschiedliche Legitimität, je nachdem, wer sie erzählt.
Deshalb gibt es innerhalb einer Gesellschaft immer verschiedene und sich widersprechende Narrative und Gegennarrative, Hegemonien und Gegenhegemonien. Auch die Erzählung vom Klimawandel gliedert sich in Metanarrative. Die beiden herrschenden Narrative, mit denen auch die deutsche Gesellschaft derzeit den menschengemachten Klimawandel erzählt, sind die vom Weltuntergang und vom technologischem Fortschritt, also Narrative des christlichen Glaubens und der Moderne – wobei diese ineinandergreifen.
Wird die Klimawandel-Metaerzählung im Weltuntergangsnarrativ gefasst, dann ist bedeutsam, dass sie ihre eigene Bedingung vernichtet. Denn mit der Welt verschwindet auch ihre Geschichte. Das gleichzeitige Ende der Welt und der sich auf ihr abspielenden Geschichten macht ein Cartoon deutlich, in dem man eine versunkene Insel im Meer sieht. Nur eine Palme sowie die obere Hälfte einer versunkenen Sprechblase ragen aus dem Wasser. Kommentiert ist das Bild mit dem Satz „Wie sich der Klimawandel auf Mensch-auf-einsamer-Insel-Cartoons auswirken wird.“ Beim globalen Klimawandel geht nicht nur eine kleine, lokale Welt verloren, sondern die Bedingung aller Geschichten.
Die Glaubwürdigkeit von Narrativen hat aber auch damit zu tun, wie die verschiedenen Ebenen einer Geschichte ineinandergreifen. „Der Weg zum Ziel bedarf selbst Mittel, die in sich die Logik und Werte des angestrebten Ziels bergen“, schreiben die Macher:innen vom Zentrum für Realutopien – Reinventing Society zur „Pfadharmonie“. Diese „Harmonie“ ist nicht gegeben, wenn das Ziel die radikale Reduktion von Treibhausgasen ist, aber der Weg dorthin diesem Ziel zuwiderläuft. Oder wenn er zu vage bleibt. Diese Anforderung an Narrative ist an den Ideen des Transformationsdesigns ausgerichtet, einer Designbewegung, die Transformation als sozialen Prozess gestalten möchte.
Aus dem bislang Gesagten folgt, dass neue Narrative nicht auf dem Reißbrett „from scratch“ ausgeheckt und frei erfunden werden können. Stattdessen können sich Metanarrative wie Gegennarrative nie unabhängig vom Rahmen der bereits bestehenden Erzählweisen entfalten.
Auf Basis dieser Überlegungen können wir die Metanarrative für die menschengemachte Erderwärmung noch einmal genauer unterscheiden. Zwei besonders einflussreiche Narrative sind die folgenden: Die Menschen (Gegner) verwandeln die ehemals intakte Erde (Ausgangssituation) durch ihr ausbeuterisches Verhalten in eine ausgebeutete und ökologisch zerstörte Erde (Endsituation). Oder die Menschen (Retter) werden Technologien finden, welche die Zerstörungen (Ausgangssituation) aufhält und die Welt sogar in eine grünere (Endsituation) transformiert. Andere, dem Technikoptimismus und dem Untergang unter- und nebengeordnete Narrative, sind Wohl und Gesundheit, Solidarität und Kooperation, das Ziel einer umfassenden Renaturierung, die Stärkung von Resilienz oder die Idee der Natur als etwas Heiligem.
Auch Daten erzählen Geschichten. Dies gilt nicht zuletzt für die meisten Kurven und Karten aus den Berichten des Weltklimarats. Wenn ich mir insbesondere die Kurven anschaue, die den Anstieg von Emissionen, Temperaturen oder das Artensterben für die letzten Jahrzehnte oder Jahrhunderte verzeichnen, beschreiben ihre rapiden Steigungen oder Abfälle eine Geschichte mit der Signatur des exponentiellen Wachstums. Auch sie erfüllen die Minimalanforderungen an eine Erzählung, denn sie enthalten Ausgangssituationen, Wandel und Endsituationen, aber auch Akteure und mitunter auch Helden und Gegner. Zudem beschreiben die Datenkurven oft globale Entwicklungen.
Welche Geschichte erscheint hier? Bereits mit den abstraktesten Kurven verknüpft sich oft eine Erzählung, die seit der griechischen Poetik Tragödie heißt. Durch die CO2-intensive Lebensweise drohen verheerende Katastrophen, die wie biblische Plagen erscheinen. Die Katharsis erfolgt in Gestalt technischer Lösungen, die den Untergang der Helden aufhalten sollen. Diese Erzählung können wir in den Kurven des Klimawandels ablesen: Die Handlung folgt einer ansteigenden roten Kurve, die nach der erwünschten Klimax (der Gegenwart) rapide abfällt. Das heldische Moment der Umkehr, das „retardierende Moment“ in dieser Tragödie, wird bei jeder Klimakonferenz neu gesetzt. Die Ankündigung der Umkehr verzögert den heldischen Moment jedoch, denn sie besteht im immer neuen Versprechen, dass nun (beim nächsten Klimagipfel, dem COP1 1995, COP2 1996, …, COPx 20xx) der Weg in Richtung Umkehr eingeschlagen werde. Indes, die CO2-Kurven flachen nicht ab, der Scheitelpunkt bewegt sich Jahr für Jahr weiter auf der roten Kurve in eine katastrophische Zukunft. Die Storyline ist so klar wie der Gang der Kurven, auch das Ziel – Bruch mit der Aufwärtstendenz – ist unstrittig. Um die Maßnahmen jedoch, wie dieses Ziel erreicht werden soll, wird heftig gestritten.
Welche Vorstellungen von Zukunft, vom Gang der Welt und der Menschheit verknüpfen sich mit derartigen Kurven kulturell, wenn sie den wissenschaftlichen Kontext verlassen? Mit kulturwissenschaftlichem Blick würde ich sagen, dass die Vorstellungen nicht beliebig sind. Wie bei den farbigen Klecksen eines Rorschachtests zur Psychodiagnose, in die wir Bilder hineinsehen, die bereits in uns vorhanden sind, setzen auch die Klimakarten und -kurven in den Köpfen der Rezipient:innen bestimmte Bilder frei, aller Abstraktion zum Trotz. Bilder aus dem kulturellen Gedächtnis schießen ein, lagern sich in Schichten über die roten Karten und ansteigenden Kurven. Für viele sind es die Bilder der biblischen Apokalypse, einer höllischen Heißzeit oder einer Welt ohne Menschen, also die kulturell überlieferten Mythen, denen auch Nicht-Bibelkundige in zahlreichen Erzählungen und Katastrophenfilmen begegnen.
Gleichermaßen wichtig für den Erfolg neuer Narrative ist es jedoch, die Zeichen zu sehen, dass der Wandel tatsächlich einsetzt. Dies können einerseits Zahlen sein, wie sie auf den Zählstellen für Fahrräder in Städten täglich für alle erhoben werden, die vorbeifahren, und die zeigen, wie normal das Radfahren in einer Stadt geworden ist. Dies kann aber auch der Ausbau von verkehrsberuhigten, begrünten Straßen oder Radwegen sein, der verdeutlicht, dass die Verkehrswende vorankommt. Noch besser wäre es, wenn die CO2-Emissionen tatsächlich rapide abflachen würden. Eine Vielzahl solcher Signale wäre wichtig. Denn ohne ein solches Feedback aus der Realität erstarren die Visionen zu leeren Versprechungen, die den Glauben an den Wandel und so letztlich die Taten bremsen.
Die wichtigste Erkenntnis für mich bei meiner Beschäftigung mit der Geschichte der Zukunft war: Falsche Glaubenssätze prägen, weil sie unreflektiert bleiben, die Hintergrundannahmen der Wirklichkeit weiter. Und Narrative entstehen niemals aus dem Nichts, können also nicht vollkommen frei designed werden. Deshalb gleicht der Blick in die Zukunft oftmals einem Blick zurück. Die Erzählungen basieren immer auf den kulturellen Handlungs- und Denkmustern der Gesellschaft, in der sie entstehen. Zugleich tragen Erzählungen erst zur Konstruktion und Entstehung von diesen Mustern bei. Symbolische Deutungen durch Narrative und die Wirklichkeit sind also vielfältig miteinander verwoben. Denn an dieser Stelle gilt es sich zu vergegenwärtigen, wie sich Menschen überhaupt Zukünfte vorstellen können, von welchen Bildern und Geschichten Inspiration zu erwarten ist. Zukunftsvorstellungen sind immer von der Geschichte und von kulturell tief verwurzelten Weltsichten und Mythen geprägt – die Moderne etwa vom Glauben an Wachstum, Fortschritt und individuelle Freiheit. Die Geschichte der Zukunftsvorstellungen hat gezeigt: Etwas komplett Neues lässt sich gar nicht denken, da die Zukunft immer aus Erfahrungen und Erzählungen der Vergangenheit gestaltet wird.
Dies klingt für alle Visionssuchenden zunächst nach einer schlechten Nachricht, wenn es doch in Anbetracht ökologischer Krisen darum geht, etwas neu zu denken. Umso wichtiger ist es, die Kräfte aus der Vergangenheit zu erkennen, welche die heutigen Zukunftsvorstellungen fest im Griff haben. Das würde ich mir für alle Narrativ-Werkstätten wünschen: Lernen Sie aus alten Narrativen, um diese überhaupt verlernen und neu denken zu können! Wer sich damit befasst, woher unsere Zukunftserzählungen und -bilder kommen, kann diese kritisch hinterfragen und auf diese Weise veraltete und unangemessene Vorstellungen aufbrechen.
Was folgt aus der Kritik der Narrative für diese Krise der Imagination? Das Denken über den Klimawandel ist festgefahren und erstarrt. Die Bilder sind gleichsam durchsichtig geworden, die Geschichten sind so bekannt, dass viele weder an sie glauben noch emotional von ihnen berührt werden. Um die fixen Erzählungen aufzubrechen und zu verflüssigen, plädiere ich dafür, alle Perspektiven und Ideen auf den Tisch zu legen, um auswählen, ausschneiden und rekombinieren zu können, was weiterhin gewollt ist – und was nicht. Dabei braucht es auch die schlechten, veralteten Erzählungen, weil wir erst von deren Unzulänglichkeiten ausgehend neue Bilder entwickeln können. Wenn es gelingt, die erstarrten Leitbilder in Bewegung zu versetzen und andere, durchaus kleinteilige und lokale Visionen zu entwickeln, kann das helfen, das Denken zu verändern. Erst ein neues Denken über die alten Bilder bringt neue Bilder hervor, die wiederum neue Gedanken ermöglichen.
Ich hatte den Vortrag mit der Beobachtung begonnen, wann Gespräche über die Klimakrise verstummen. Um dem Verstummen entgegenzuwirken, bräcuten wir viel mehr Imaginationen, die von sehr viel unterschiedlicheren Akteur:innen entwickelt und auch zur Kenntnis genommen werden. Denn es kann für unsere sehr uneinheitlichen Gesellschaften nicht das eine Bild, die eine Erzählung geben, die „wirksam“ alle Probleme löst. Es gibt kein Bild, hinter dem sich alle versammeln könnten, wie wir es vor allem aus großen Religionen kennen, auch wenn derartige Bilder es vermögen, besonders viele Menschen hinter einer Idee zu vereinen. Doch so wie es nicht ratsam ist, auf die eine technische Lösung zu hoffen, muss es auch viele Bilder mit vielen Lösungen von ganz unterschiedlichen Akteur:innen geben. Vorsicht ist jedoch geboten, wenn Bilder zu nur symbolischen Lösungen werden, wenn sie in rein visueller Weise, wie in der Werbung, die Heilung versprechen, wenn wir uns also schöne Bilder von einer Welt machen, die nie Wirklichkeit wird.
Denken, Fühlen, Sprechen und Imaginieren sind miteinander verbundene Aktivitäten, die sich wechselseitig bedingen. Es ist von größter Wichtigkeit, vielfältiger über das Thema Klimawandel zu reden, zu imaginieren und nachzudenken und dabei auch die Gefühle ernst zu nehmen. Das kann bedeuten, ganz andere Gespräche als bisher zu führen, an neuen Orten und mit anderen Teilnehmenden. Es bedeutet, Menschen zuzuhören, die außerhalb der westlichen Metanarrative stehen und auf diese Weise neue Perspektiven zu erlangen. Und es ist zentral, über den Klimawandel nicht mehr allein als wissenschaftlichen Zusammenhang zu sprechen, sondern diesen ebenso als gefühlte und erlebte Realität zu thematisieren, die ganz unterschiedlich sein kann. Und hierbei können die Literatur und die Kunst einen Beitrag leisten, weil sie unsere Vorstellungen und Sichtweisen ausweiten, und weil sie der Ort sein können, an dem die erstarrten Erzählungen, auch ganz kleinteilig und ohne Helden, neues Denken und Fühlen erprobbar machen.
Cartoon von Robert Crumb
Ich möchte diesen Gedanken mit einem Cartoon von Robert Crumb weiterführen, der mich bereits seit langem im Nachdenken über diese Fragen begleitet. Im Jahr 1979 erschien im US-amerikanischen Magazin Co-Evolutionary Quarterly ein zweiseitiger Comicstrip mit dem Titel A Short History of America. Auf nur zwölf Bildfelder komprimierte Crumb kommentarlos die Veränderung Nordamerikas seit der Ankunft der Europäer bis in die Gegenwart der 1970er Jahre. Die Bilderzählung beginnt mit dem Blick auf ein vermeintlich unberührtes Stück Natur aus Wald und Wiesen, das in den darauffolgenden Panels sukzessive in eine technische Infrastruktur umgewandelt wird, in der rauchende Züge, Landstraßen, Straßenbahnen, Oldtimer und schließlich die Cadillacs der 1970er Jahre das Bild bestimmen. Der letzte Baum verschwindet im neunten Panel zugunsten von neuen Straßenlaternen, Ampeln, Telefondrähten und Werbeschildern.
Zwei Jahre nach dem ersten Erscheinen kolorierte Crumb den Comic und fügte seiner Erzählung die drei untersten Bildfelder hinzu. Diese sind hier von besonderem Interesse, da sie drei prototypische Zukunftsvisionen der Moderne besonders eindringlich veranschaulichen. Die erste Version trägt den Titel „Worst case scenario, ecological disaster“ (Worst-case-Szenario, ökologische Katastrophe). Sie knüpft am deutlichsten an die vorherigen Panels an. Die Straßenkreuzung ist nach einer ökologischen Katastrophe zu sehen. Die Geschichte des modernen Lebensstils ist an ihr Ende gekommen – der Himmel ist gelb, die Zivilisation liegt in Ruinen und es scheint kein Leben mehr zu geben.
Die zweite Vision heißt „The fun future: Techno-Fix on the march“ (Die Spaß-Zukunft: Die Tech-Lösung greift um sich). Bunte Autos fliegen am blauen Himmel über geschwungene futuristische Häuser, die in sauber geplanten Vorgärten stehen. Der schaffende Mensch, der Homo Faber, hat alles im Griff.
Die dritte Version zeigt „The ecotopian solution“ (Die ökotopische Lösung). Die Bewohner:innen dieser Zukunft verzichten auf alle strom- und spritbetriebenen Geräte. Sie leben in einer intensiven Verbindung mit dem Wald, der in seinem üppigen Wildwuchs an die Wälder vor der Invasion der Europäer:innen erinnert – die Prinzipien von Evolution und Wachstum haben sich in dieser Zukunft ins Phantasma des biologischen Wachstums einer bunten Urzeitkommune verkehrt.
Crumbs Alternativen möglicher Zukünfte setzen die drei maßgeblichen Zukunftsvorstellungen prägnant ins Bild. Während die Katastrophe die Welt des Schreckens und der Angst ist, ist der Techno Fix die legitimierte Meistererzählung der Moderne mit der Ökotopie als Gegennarrativ. Doch alle drei Erzählungen zeigen holzschnittartig die drei logischen Ableitungen aus der Geschichte der Moderne und ihres wissenschaftlichen und technischen Fortschritts.
Alle drei Visionen erscheinen plausibel und haben ihre Anhänger:innen. Wer welcher Ansicht anhängt, lässt sich mit einem Schema der Kulturtheorie fassen, das unterscheidet, wie verschieden Menschen über „die Natur“ auch innerhalb ein und desselben Kulturkreises denken und wie sich dies auf ihre eigene Risikowahrnehmung auswirkt. Manche glauben an eine gutmütige Natur, andere an eine duldsame, wieder andere gehen davon aus, dass die Natur ohnehin unberechenbar sei, oder sie sehen sie als fragil und zerbrechlich an. Naturschützer:innen werden eher von einer zerbrechlichen Natur ausgehen, während Technikoptimist:innen typischerweise die Natur als duldsam, gutmütig oder unberechenbar ansehen.
Auch die meisten der heutigen, Jahrzehnte später angestellten Zukunftsimaginationen einer Welt im Klimawandel entfalten sich immer noch innerhalb der Typologie der drei schemenhaften Visionen, wie Crumb sie zeichnete. Eine lebendige Zukunftsvision außerhalb dieser drei Varianten scheint es bislang nicht zu geben. Und dies, obwohl gegenwärtig eine neue Vision der großen Transformation beschworen wird, die gerade in Deutschland eine wichtige Rolle spielt. Sie wird von Crumbs drei Typen nicht abgedeckt –sie wäre eine Mischung aus Techno Fix und Ökotopie. Deshalb werde ich mich im Folgenden auf jene Aspekte der drei Zukunftsvorstellungen beschränken, die diese problematisch machen.
Doch möchte ich hinzufügen, dass die Szenarien kein Entweder-Oder sind, wie es die Logik der Bildfelder bei Crumb nahegelegt. Stattdessen bestehen alle drei Zukünfte bereits im Heute, wo kleine Kommunen und Selbstversorgerbetriebe, Energielandschaften und Smart Cities sowie von Müll und Gift verwüstete Regionen und ruinierte Landschaften nebeneinander existieren, so dass eine konkrete Ahnung von der weiteren Entfaltung der Zukunft bereits zu erlangen ist.