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Kommentar zu Panzerlieferung
Eine bittere, aber richtige Entscheidung

Ob die Lieferung von Leopard 2 abschreckend auf Russland wirke, könne niemand garantieren. Gewiss sei aber, dass Putin den Verzicht auf Abschreckung als Einladung zu einer Ausweitung seines blutigen Feldzuges deuten würde, kommentiert Stephan Detjen.

Ein Kommentar von Stephan Detjen |
Ein Kampfpanzer der Bundeswehr vom Typ Leopard 2
Stephan Detjen: „Rückblickend wäre es besser gewesen, der Westen hätte die Ukraine schon viel früher mit den Geschützen, Flugabwehrsystemen und Panzern ausgestattet, die jetzt erst als Reaktion auf den brutalen Überfall geliefert wurden.“ (picture alliance / dpa / Moritz Frankenberg)
Fast im Stundentakt ließ sich seit der Entscheidung der Bundesregierung beobachten, wie westliche Partnerstaaten dem deutschen Beispiel folgten und die Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine ankündigten. Ob Olaf Scholz davor still und bedacht hinter den Kulissen die Fäden gezogen oder in eine unfreiwillige Führungsrolle gedrängt wurde, ist danach nur noch von zweitrangiger Bedeutung. Wichtiger und von historischer Tragweite ist die Frage, ob die Entscheidung eine leichtfertige Eskalation des Krieges bedeutet oder einen Beitrag zu seinem Ende, wenigstens seiner Eindämmung leistet.
Klar ist, dass die bereits jetzt tiefe, indirekte Verstrickung der westlichen Partner in den Krieg damit noch einmal ausgeweitet wird. Es wird schließlich nicht genügen, die Panzer an die Grenze zu fahren und ukrainischen Soldaten die Schlüssel in die Hand zu drücken. Reparaturen, Logistik und Munitionsnachschub werden langfristig aus dem Westen organisiert werden müssen. Das Bild aber ist erst vollständig, wenn die Entscheidung mit Blick auf die ganze Dynamik des Krieges bewertet wird.

Eine erneute russische Attacke zeichnet sich bereits ab

Die Kampfpanzer kommen zu spät, um die Gegenoffensive zu unterstützen, mit der die Ukraine im Herbst Teile des von Russland eroberten Territoriums zurückerobert hat. Die Fronten sind festgefahren und zuletzt haben die russischen Kräfte wieder an Momentum gewonnen. Vor allem aber zeichnet sich mit massenhaften Zwangsrekrutierungen in Russland sowie Truppenkonzentrationen in Belarus eine erneute Attacke gegen die Ukraine bis hin zu einem neuen Vorstoß auf Kiew ab.


Manche westliche Militärexperten haben russische Drohgebärden in der Vergangenheit als Eskalationen mit dem Ziel einer Deeskalation des Ost-West-Konflikts gedeutet. Noch vor einem Jahr glaubten viele, Putin gehe es mit seinem Aufmarsch an den Grenzen der Ukraine nur darum, seine Verhandlungsposition zu stärken. Das entpuppte sich am 24. Februar letzten Jahres als üble Selbsttäuschung.
Rückblickend wäre es besser gewesen, der Westen hätte die Ukraine schon viel früher mit den Geschützen, Flugabwehrsystemen und Panzern ausgestattet, die jetzt erst als Reaktion auf den brutalen Überfall geliefert wurden. Putin hatte einen bösen Plan, von dem er sich nicht durch Verhandlungen und Gespräche bis zur letzten Minute abbringen ließ. Doch er hat den Preis unterschätzt, den sein mörderischer Raubzug seinem eigenen Land abverlangt. Die Ukraine war keine leichte Beute. Die Panzerentscheidung führt ihm jetzt vor Augen, dass dies auch im Frühjahr, wenn er seine Kräfte gesammelt hat, nicht der Fall sein wird. Ob die Abschreckung wirkt, kann niemand garantieren. Aber gewiss ist, dass Putin den Verzicht auf Abschreckung nur als Einladung zu einer Ausweitung seines blutigen Feldzuges deuten würde. Das jedenfalls ist die finstere Lehre, die der Westen ein Jahr nach seinem Beginn verinnerlichen musste. Die Entscheidung zur Lieferung der Kampfpanzer ist die bittere, aber richtige Konsequenz daraus.
Stephan Detjen
Stephan Detjen
Stephan Detjen, Chefkorrespondent von Deutschlandradio. Studierte Geschichtswissenschaft und Jura an den Universitäten München, Aix-en-Provence sowie an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Rechtsreferendariat in Bayern und Redakteur beim Bayerischen Rundfunk. Seit 1997 beim Deutschlandradio, zunächst als rechtspolitischer Korrespondent in Karlsruhe. Ab 1999 zunächst politischer Korrespondent in Berlin, dann Abteilungsleiter bei Deutschlandradio Kultur. 2008 bis 2012 Chefredakteur des Deutschlandfunk in Köln. Seitdem Leiter des Hauptstadtstudios Berlin sowie des Studios Brüssel.