Freitag, 10. Mai 2024

Kommentar zum Umgang mit AfD
Die Brandmauer als Dilemma für alle anderen Parteien

Der AfD gehe es bei den kommenden Wahlen im Osten nur darum, dass CDU oder FDP ihr zu den ersten Regierungsämtern verhelfen, kommentiert Ulrike Winkelmann von der "taz". Sie mahnt, sich nicht auf Debatten um sogenannte Kulturkämpfe einzulassen.

Ein Kommentar von Ulrike Winkelmann, "taz" | 24.06.2023
Gelbes Ortsschild von Sonneberg in Thüringen vor blauem Himmel
Hört man prominenten ostdeutschen CDU-Vertretern, Fraktionschefs oder Ministerpräsidenten zu, wird deutlich, dass sie selbst nicht an die Haltbarkeit der Brandmauer glauben, findet taz-Chefredakteurin Ulrike Winkelmann (Getty Images / iStockphoto / Animaflora)
Es braucht sich eigentlich niemand die Mühe zu machen nachzuschauen, was der AfD-Kandidat denn überhaupt vorhat, sollte er an diesem Sonntag die Landratswahl in Sonneberg gewinnen. Denn seine Forderungen handeln von allem Möglichen - nur nicht davon, was ums thüringische Städtchen Sonneberg herum eigentlich als Landrat so zu tun wäre. Der Mann gibt selbst zu, dass es ihm nur darum geht, die Mitglieder anderer Parteien zur Zusammenarbeit zu zwingen. So ein Landrat regiert den Kreis schließlich nicht allein.
So will der AfD-Kandidat beweisen, dass die sogenannte Brandmauer einzureißen ist – diese Mauer, deren Bau und Erhalt bisher vor allem die CDU, aber auch die FDP beschäftigt. Denn bei fast allen kommenden Wahlen im Osten wird es darum gehen, ob sich jemand findet, der der AfD zu ihren ersten Regierungsämtern verhilft – oder diese auszufüllen hilft.

Vokabular der AfD angeglichen

Die Metapher der Brandmauer ist dabei für die bisher gültige Abgrenzung der demokratischen Parteien gegen die AfD gar nicht schlecht gewählt. Das Haus der Demokratie hält nicht von selbst für immer, es braucht Pflege und Schutz. Es ist daher völlig in Ordnung, wenn sich an der Seite, die zu den Rechtsextremisten zeigt, kein Zugang findet - nur eine geschlossene, hoffentlich feuerfeste Mauer.
Nun muss man prominenten ostdeutschen CDU-Vertretern, Fraktionschefs oder Ministerpräsidenten, nur ungefähr drei Minuten zuhören um zu merken, dass sie selbst nicht an die Haltbarkeit dieser Mauer glauben. Vermutlich werfen sie die demokratischen Maßstäbe dabei nicht ganz freiwillig von sich - selbst wenn sie bisweilen klingen, als hätten sie ihr Vokabular schon einmal dem der AfD angeglichen. Eher wirkt die CDU im Osten wie ein schrumpfendes Häuflein Getriebener, hilf- und planlos den seit Jahrzehnten schon grassierenden, nun eben von der AfD bewirtschafteten Ressentiments ihrer Wählerschaften ausgeliefert.

Demokratischer Zusammenhalt stärkt die AfD

Links von der CDU macht man es sich jedoch zu leicht, wenn man sagt: Seid und sprecht doch einfach wie wir, dann halten wir zusammen, und die AfD bekommt nie einen Stich. Denn die Abgrenzungsstrategie führt in ein schwer zu leugnendes Dilemma: Je fester die demokratischen Parteien zusammenhalten, desto mehr bestärken sie damit die Erzählung der AfD, dass neben ihr alle anderen gleich seien. Es ist das Nährmittel der Rechtspopulisten überall, dass sie das große, starke, natürlich sortenreine Anderssein versprechen.
So bitter es ist - jede Podiumsdiskussion, auf der sich von Linkspartei bis CDU die anderen Parteien auf ein gemeinsames demokratisches Wertefundament verständigen, verschafft der AfD Wind unter die Flügel.
Diese Zwickmühle zu beschreiben, heißt nun nicht, die Strategie aufzugeben. Die Abgrenzung bleibt richtig. Man muss nur ihren Preis erkennen – und versuchen, diesen herunterzutreiben.

Debatte um Fortschritt ist kein "Kulturkampf"

Kostendämpfend wäre es zum Beispiel, sich nicht auf das Feld der Kulturkämpfe zu begeben. Mit diesem Begriff werden inzwischen von rechts, auch von Teilen der CDU und CSU, sämtliche Fortschrittsdebatten belegt - seien es die Gleichberechtigung in der öffentlichen Kommunikation oder der wirtschaftliche und gesellschaftliche Umbau zur Klimaneutralität. Letzterer war eigentlich auch von der Union schon einmal beschlossen worden – allerdings war sie da noch an der Regierung. Jetzt behaupten wichtige Unionsvertreter, es handle sich um einen Kulturkampf, also eine ideologische, rein identitätsbezogene Spiegelfechterei.
Diese aber betreiben sie selber - man schaue sich den Furor an, mit dem die neu regierende Berliner CDU für den Abbau von gerade erst eingerichteten Fahrradwegen sogar Bundesgelder opfert. Oder das Spektakel, das Bayerns Ministerpräsident Markus Söder zuletzt ums Wurstessen veranstaltete. Kein Problem wird so gelöst, dafür aber der demokratische Auftrag und damit die demokratische Substanz beschädigt - nämlich ein Thema so ernst zu nehmen, dass man einen anständigen Vorschlag dazu vorzulegen imstande ist.
Wer sich das spart, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, das Spiel der Antidemokraten von rechtsaußen zu betreiben – und die Wirkung wird sich nicht auf winzige Landkreise weit im Osten beschränken.