Donnerstag, 09. Mai 2024

Kommentar zu Trump
Die Anklage gegen den Ex-Präsidenten stellt die Systemfrage

Die neue Anklage gegen den früheren US-Präsidenten Donald Trump wegen Verschwörung sei die bislang wichtigste, kommentiert Doris Simon. Denn hier gehe es um den Kern der amerikanischen Demokratie.

Ein Kommentar von Doris Simon | 02.08.2023
Die Zeitungen "New York Post" und "Daily News" berichten über die Anklage gegen Trump
Die Zeitungen "New York Post" und "Daily News" berichten über die Anklage gegen Trump (IMAGO / Levine-Roberts)
Diese Anklage gegen Donald Trump ist die wichtigste, denn sie stellt die Systemfrage: Kann ein amtierender Präsident von Lügen bis Gewalt jedes Mittel einsetzen, um an der Macht zu bleiben? Kann er, wohl wissend, dass er die Wahl verloren hat, den Wählerwillen missachten und trotzdem straffrei ausgehen? Die Frage steht seit dem 6. Januar 2021 mitten im Raum, und es war überfällig, dass sich in einem Rechtsstaat ein Gericht mit ihr beschäftigt.
Es geht hier im Kern um die amerikanische Demokratie. Die Anklage lässt keinen Zweifel daran, dass ein regierender Präsident Schwächen des institutionellen Gefüges ausgenutzt hat, um mit voller Absicht die zentrale Intention der Verfassung und Gesetze der Vereinigten Staaten zu verletzen: Dass Wahlen von den Bürgerinnen und Bürgern entschieden werden und nicht von einem Präsidenten, der nicht verlieren kann.
Viele der Handlungen und Ereignisse, um die es bei dieser Anklage geht, sind in aller Öffentlichkeit passiert. Niemand hat gesehen, wie in Trumps Anwesen Mar A Lago Geheimdokumente in einer Dusche versteckt oder Zahlungen an einen Pornostar als Betriebskosten verbucht wurden. Aber viele erinnern sich an den 6. Januar 2021, als Donald Trump seine Anhänger aufforderte, zum Kapitol zu marschieren, sie haben die Bilder der Gewalt, die folgte, vor Augen. Gewalt, die einem Präsidenten als letztes Mittel recht war, um einen der wichtigsten Vorgänge der amerikanischen Demokratie zu verhindern: Die Bestätigung des Wählervotums aus allen Bundesstaaten der USA durch den versammelten US-Kongress. Polizisten verloren ihr Leben bei der Verteidigung des Herzstücks der amerikanischen Demokratie. Sie retteten Abgeordnete, Senatorinnen und Vizepräsident aus Lebensgefahr.

Wenn Lügen zu Tatsachen werden

US-Justizminister Merrick Garland hat sich viel Zeit gelassen, bevor er sich zu Ermittlungen durchrang. Kein Wunder: Donald Trump hat seit seiner Wahlniederlage jede Ermittlung als Hexenjagd einer politisierten Justiz im Auftrag der Regierung dargestellt. Kaum ein Thema vertieft die politischen Gräben im Land stärker. Die frei erfundene und in jedem Fall widerlegte Behauptung, die Präsidentschaftswahl 2020 sei zugunsten von Joe Biden gefälscht worden, ist für Millionen von US-Bürgern nicht nur ihr Glaubensbekenntnis, sondern eine feststehende Tatsache. Stetes Lügen höhlt den Stein.
Für diese Anklage gibt es keinen guten oder passenden Moment. Das Risiko ist zu allen Zeiten gleich hoch, einen zu allem entschlossenen Menschen anzuklagen, dem Millionen andere bedingungslos folgen. Und in den USA wird ständig gewählt. Aber in einem Rechtsstaat darf es nicht sein, dass hunderte von Trumps Anhängern für ihre Taten am Kapitol verurteilt werden und der Brandstifter nicht zur Rechenschaft gezogen wird.
Porträt: Doris Simon
Doris Simon, geboren 1964 in Bonn, ist Deutschlandradio-Korrespondentin für die USA und Kanada. Nach ihrer Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München und einem Studium der Geschichte, Politik und Kommunikation arbeitete sie als freie Journalistin für Fernsehen und Hörfunk in Bonn und Berlin. Für RIAS Berlin und später Deutschlandradio berichtete sie als Korrespondentin aus Bonn und Brüssel, sie hat als CvD und in der Programmdirektion im Deutschlandfunk gearbeitet und war viele Jahre Moderatorin und Redakteurin der "Informationen am Morgen".