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"Letzte Generation"
Konservative, systemtreue Aktivisten

Die meisten Forderungen der Aktivisten der "Letzten Generation" stünden so ähnlich auch im Regierungsprogramm, kommentiert Ann-Kathrin Jeske. Auch die Methoden der Gruppe seien kein Grund zur Panik: Der Staat sitze eh am längeren Hebel.

Ein Kommentar von Ann-Kathrin Jeske | 24.04.2023
Polizisten besprechen die Vorgehensweise zur Räumung der Kreuzung Hohenzollerndamm/Konstanzer Straße, wo Aktivisten auf der Fahrbahn sitzen.
Proteste der "Letzten Generation" für Klimaschutz in Berlin (picture alliance / dpa / Hannes P Albert)
Extremisten sind sie laut CDU-Generalsekretär Mario Czaja. Straßenschlachtartige Zustände wie in den 1920er- und 30erJ-ahren fürchtet FDP-Justizminister Marco Buschmann und Alexander Dobrindt von der CSU warnte schon vor Monaten vor einer „Klima-RAF“.
Czaja, Buschmann und alle anderen, die verbal derart aufrüsten, sollten es besser wissen. Vor allem für Marco Buschmann, der als Bundesminister ein Regierungsamt bekleidet, gilt: Verantwortungsvolle Kommunikation sieht anders aus.

Gefährlicher historischer Vergleich

Den geschichtlichen Vergleich zog Buschmann im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: In den 1920er- und 30er-Jahren habe es straßenschlachtartige Zustände gegeben, bei denen sich Menschen am rechten und linken politischen Rand ermächtigt fühlten, sich über die Rechtsordnung zu stellen, so der Minister.
Dieser Vergleich ist gefährlich.
Einerseits, weil er nicht stimmt. Denn die damaligen Straßenschlachten führten paramilitärische Gruppen, die verlängerte Arme von Parteien waren. Auf der einen Seite beispielsweise der Rote Frontkämpferbund, den die KPD gegründet hatte. Auf der anderen Seite die SA, gegründet von der NSDAP. Buschmann suggeriert also Parallelen zwischen dem Protest der letzten Generation und paramilitärischen Gruppen, die von Parteien gezielt auf die Straße geschickt wurden, um Tote in Kauf zu nehmen.
Wer also kämpft, um in diesem Bild zu bleiben, für die FDP auf der Straße? Wütende Autofahrer gegen Klimakleber? Sicher nicht. Was der Justizminister mit solchen historischen Vergleichen aber tut, ist, die Polarisierung weiter voranzutreiben. Stattdessen sollte er – ebenso wie alle anderen, die verbal derart aufrüsten – die eigene Aufregung drosseln.

Die Forderungen der "Letzten Generation" sind konservativ

Die inhaltlichen Forderungen der Gruppe sind nämlich harmlos, man könnte fast schon sagen konservativ, denn sie verlangt von der Bundesregierung lediglich die Politik umzusetzen, die sie selbst versprochen hat - nämlich das 1,5 Grad Ziel aus dem Pariser Klimaabkommen einzuhalten. Also etwas, wozu sich Deutschland verpflichtet hat.
Was die Letzte Generation ganz konkret fordert, um das zu erreichen, ist größtenteils sogar schon Regierungsprogramm: Die Gruppe will ein 9-Euro-Ticket, einen sogenannten Gesellschaftsrat, ähnlich den Bürgerräten im Koalitionsvertrag. Und ein Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen.
Das alles ist weder radikal noch revolutionär. Das ist ziemlich systemtreu.

Der Staat hat genug Mittel

Auch wenn vielen dabei die Form des Protests nichts gefällt: Solange das Regelwerk eines Staates funktioniert, muss auch ein Justizminister es aushalten, dass Recht nicht immer eingehalten, sondern auch überschritten wird.
Strafrechtlich nämlich gibt es für den klebrigen Protest auf der Straße genügend Paragrafen, mit denen das Verhalten sanktioniert werden kann. Erst kürzlich wurden in Heilbronn Aktivisten der Letzten Generation erstmals zu Haftstrafen verurteilt.
Der Staat sitzt also am längeren Hebel. Das weiß auch der Justizminister.