Welche Perspektiven braucht der Osten?
Neues Erzählen von der DDR
Mary Fulbrook, Laila Stieler, Jakobine Motz, Dörte Fiedler, Ulrike Bajohr und Johannes Nichelmann im Gespräch mit Wolfgang Schiller
30 Jahre nach dem Fall der Mauer gehen Autorinnen und Filmemacher neue Wege, um von der DDR zu erzählen - jenseits der Klischees von Täter, Mitläufer und Opfer. Können ein neuer Blick und eine spezifisch ostdeutsche Perspektive auf die Geschichte dabei helfen, die tiefgreifenden Unterschiede zwischen Ost und West zu überwinden?
In Politik, Justiz, Verwaltung und Wirtschaft sind Menschen mit ostdeutscher Biografie in den Spitzenpositionen stark unterrepräsentiert. Viele Menschen aus dem Osten fühlen sich benachteiligt und zurückgesetzt. Ein Teil dieses Gefühls rührt aus der Entwertung ihrer Biografien, die viele Menschen in den Jahren nach der Wende erfahren haben. Diese Entwertung hat womöglich auch eine Ursache darin, wie die Geschichte der DDR erzählt wird. In der Geschichtsschreibung wie in den Medien. Die Geschichte der DDR wird in politischer Hinsicht als zweite deutsche Diktatur, als Unrechtsstaat unter der SED-Herrschaft erzählt, in wirtschaftlicher Hinsicht als vollständig gescheitertes Experiment der Planwirtschaft. Das Bild prägen TV-Serien wie ,Weißensee’ oder Filme wie ,Das Leben der Anderen’ . Ein Bild, das viele Menschen nicht in Einklang bringen mit ihrem ganz normalen und bis zur Wende ganz und gar nicht gescheiterten Leben. Hat die Ausblendung dieser Erfahrungen etwas zu tun mit dem Gefühl des Nichtdazugehörens, mit dem Gefühl, „Bürger zweiter Klasse” zu sein? Aber auch die Generationen der in den 80er-Jahren und der nach 1989 Geborenen fragen, wie es wirklich war.
Wie könnte man ein differenziertes Bild der DDR zeichnen, das diesen Erfahrungen und Leistungen gerecht wird, ohne die DDR zu verklären oder die verbrecherischen und gewalttätigen Seiten des Regimes zu verharmlosen? Und was könnten die erzählerischen Formen des Radios dazu beitragen? Zu diesen Fragen diskutierten beim ‚Kölner Kongress 2019‘ die Historikerin Mary Fulbrook (University College London), die Filmemacherinnen Laila Stieler (,Gundermann’) und Jakobine Motz (,Adam und Evelyn’), sowie die Feature-Autorinnen und -Autor Dörte Fiedler (,Neuland’), Ulrike Bajohr und Johannes Nichelmann (,Nachwendekinder’). Gesprächsleitung: Wolfgang Schiller.