Dienstag, 23. April 2024

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Kommentar zur Sicherheitskonferenz
Ein Forum für die Selbstvergewisserung des Westens

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz war vieles anders als in vorhergehenden Jahren. Als Ort des Dialoges mit konkurrierenden Mächten hat sie wohl erst einmal ausgedient. Dafür bekräftigt der Westen nun die eigenen Werte und Positionen.

Ein Kommentar von Marcus Pindur | 19.02.2023
Olaf Scholz (SPD), deutscher Bundeskanzler, steht im Rahmen der Eröffnungsveranstaltung der 59. Münchner Sicherheitskonferenz am 17.02.2023 hinter einem Rednerpult. Im Vordergrund sind Köpfe von hinten zu sehen.
Neben Selbstvergewisserung gab es auf der Sicherheitskonferenz auch die Einsicht, dass man dringend aus Fehlern lernen muss, meint Marcus Pindur. Das gelte besonders für Deutschland. (picture alliance / photothek / Kira Hofmann)
Die Münchner Sicherheitskonferenz ist eigentlich ein Debattenforum. Putin konnte hier 2007 seine erste Wutrede gegen den Westen halten. Man erschrak, man diskutierte, man übte Selbstkritik - oder man wies die Einlassungen als Propaganda zurück. Sein Außenminister Lawrow hielt Strafpredigten und log dabei, dass sich die Balken bogen. Damit ging man um, damit konnte man umgehen, auch wenn Ton und Aussage immer mehr in den Propagandakeller abstiegen.
Damit ist auf absehbare Zeit Schluss. Keine Bühne mehr für die Kremlpropaganda, dafür hatte man Vertreter der russischen Zivilgesellschaft geladen. Schanna Nemzowa zum Beispiel, die Frau des ermordeten Bürgerrechtlers Boris Nemzow. Oder Irina Scherbakowa, die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Mitbegründerin der russischen Bürgerrechtsorganisation „Memorial“.

Es ist nicht gelungen, den Westen zu spalten

Im Vordergrund stand ein vorsichtiges Gefühl der Erleichterung angesichts all dessen, was in dem Jahr seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine nicht schiefgegangen ist. Im Gegenteil: Es gab niemanden, der öffentlich am Sieg der Ukraine zweifeln mochte. Zuversicht, wohin man horchte. Die Münchner Sicherheitskonferenz ist von einem Ort des Dialoges mit den konkurrierenden Mächten zu einem Forum westlicher Selbstvergewisserung geworden.
Es ist Putin nicht gelungen, den Westen zu spalten, sieht man mal von Grenzgängern wie Erdogan und Orban ab. Doch der transatlantische Schulterschluss steht, wie alle sich auf der Sicherheitskonferenz bescheinigten. Es ist Putin nicht gelungen, Westeuropa in einen Winter der Kälte und der Unzufriedenheit zu schicken und damit die Unterstützerfront für die Ukraine zu schwächen.
Im Gegenteil, der Krieg ist für den Autokraten im Kreml bislang ein Debakel, wie es der amerikanische Außenminister Blinken richtig einstufte: 200.000 tote und verwundete russische Soldaten. Eine Million Russen haben ihr Land verlassen, um sich dem Kriegsdienst zu entziehen. Viele von ihnen talentiert und gut ausgebildet.
Tausende von westlichen Unternehmen haben Russland verlassen und die russische Wirtschaft ist dank der Sanktionen auf dem Weg in die Krise. Und auch wenn Putin hier und da seine Energieträger zu Schnäppchenpreisen verkaufen kann: Die regelmäßigen hohen Einnahmen aus dem Geschäft mit Europa, insbesondere mit Deutschland, sind verloren, und das auf Dauer.

Die NATO wird gestärkt

Die NATO steht mittelfristig stärker da als vor dem Krieg. Bundesverteidigungsminister Pistorius gelobte auf der Konferenz erneut, Deutschland werde das Zwei-Prozent-Ziel bei der Finanzierung des Wehretats erreichen. Finnland und Schweden streben in die NATO – zwei Länder, die militärisch gut aufgestellt sind und deshalb einen Nettogewinn an Sicherheit für das Bündnis darstellen.
Vieles ist auch noch halb- oder unfertig. Das wurde in den vielen Gesprächsrunden in München auch klar. Mit 60 oder 70 modernen Kampfpanzern ist der Ukraine zwar ansatzweise geholfen, aber der realistische Bedarf wird auf 300 bis 500 geschätzt. Munition muss hektisch beschafft werden. Alles blamabel, aber heilbar, wenn jetzt schnell gehandelt wird.

China tritt zunehmend aggressiv auf

Doch es gab auch einen anderen Konsens auf der Münchner Sicherheitskonferenz, jenseits der westlichen Selbstvergewisserung. Dieser besagt, dass man aus Fehlern dringend lernen muss.
Sanna Marin, die finnische Ministerpräsidentin, sagte es mit der nötigen Klarheit: Der Westen habe den Aggressor Putin nach der Annexion der Krim 2014 viel zu leicht davonkommen lassen. Das sei naiv gewesen.
Das sollte besonders der deutschen Politik in den Ohren klingeln. Die Aufarbeitung des russischen Einflussnetzes und der Kultur der strategischen Ignoranz in Deutschland hat noch nicht einmal ansatzweise begonnen.
Doch der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ist lediglich der Sturm. Die Machtkonkurrenz mit China ist damit verglichen eine nahende Klimakatastrophe, wie die scharfen Äußerungen des obersten chinesischen Außenpolitikers Wang Yi gegenüber den USA in München zeigen.
Mit der Eindämmung eines immer aggressiver auftretenden China wird sich die Münchner Sicherheitskonferenz in den kommenden Jahren beschäftigen müssen.
Marcus Pindur, Korrespondent in Washington
Marcus Pindur, Korrespondent in Washington
Marcus Pindur hat Geschichte, Politische Wissenschaften, Nordamerikastudien und Judaistik an der Freien Universität Berlin und der Tulane University in New Orleans studiert. Er war Stipendiat der Fulbright-Stiftung, der FU Berlin sowie des German Marshall Fund. 1997 bis 1998 arbeitete er als Politischer Referent im US-Repräsentantenhaus. Pindur war ARD-Hörfunkkorrespondent in Brüssel, bevor er 2005 zum Deutschlandradio wechselte. Von 2012 bis 2016 war er Korrespondent für Deutschlandradio in Washington, D.C. Seit Anfang 2019 ist er Deutschlandfunk-Korrespondent für Sicherheitspolitik.