Sonntag, 05. Mai 2024

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    Kosovaren streben baldige Unabhängigkeit an

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    Kosovaren streben baldige Unabhängigkeit an
    Calic: Guten Tag.Heuer: Wieso eskaliert die Gewalt im Kosovo gerade jetzt?Calic: In den letzten Monaten hat sich wachsender Druck aufgebaut von Seiten der Albaner, die Albaner sind frustriert, dass sie immer noch nicht alle Institutionen im Kosovo selber regieren können und sie drängen auf Unabhängigkeit. Kosovo ist ja seit 1999 international verwaltet und der Status blieb offen, die Kosovaren würden lieber heute als morgen Unabhängigkeit erreichen und sie glauben, dass ihnen dabei die Minderheiten, insbesondere die Serben aber auch die UNO dabei im Wege stehen. Die UNO andererseits verlangt, dass erst bestimmte Standards erfüllt sein müssen, institutionell und auch in Bezug auf die Minderheitenrechte, bevor über den Status gesprochen werden kann. Vor diesem Hintergrund glauben vielen Kosovaren, dass eigentlich die Serben und auch die anderen Minderheiten Schuld daran sind, dass sie ihre politischen Aspirationen nicht verwirklichen können. Die werden zu Sündenböcken gemacht für alles mögliche, was im Kosovo schief läuft und gleichzeitig eben auch leider die UNO und die KFOR werden da mit in einen Topf geworfen.Heuer: Die Gewalt geht in diesem Fall, diesmal also ganz eindeutig von den Albanern aus?Calic: Ja, es hat leider in den letzten Monaten und Jahren, muss man sagen, immer ethnische Gewalt gegeben. Seit 1999 sind rund 240.000 Nicht-Albaner aus dem Kosovo vertrieben worden, vor allem Serben aber auch Zigeuner und diese Menschen konnten bis heute nicht zurückkehren. Zwei Ereignisse haben, glaube ich, die Kosovaren besonders aufgebracht in den letzten Wochen und Tagen, das Eine ist der Beginn des direkten Dialogs zwischen Belgrad und Priština, der von der UNO verordnet wurde. Die Kosovaren haben sich dagegen gewehrt, es soll darum gehen bestimmte praktische Fragen zwischen Belgrad und Priština zu lösen, aber die Kosovaren glauben, dass das nur ein Ablenkungsmanöver ist und sie wollen eigentlich die Unabhängigkeit ohne jeglichen Dialog mit Belgrad. Das Zweite, glaube ich, ist der Machtwechsel in Belgrad hin zu einer eher konservativen und nationalen Regierung und der neue Premierminister Koštunica hat in den letzten Tagen das Kosovothema wieder aufgebracht und hat die Kantonisierung Kosovos verlangt und darin sehen viele Kosovaren einen ersten Schritt in Richtung Aufteilung ihrer Provinz und sie wollen natürlich die territoriale Integrität erhalten und das Kosovo in den jetzigen Grenzen in die Unabhängigkeit führen.Heuer: Welche Rolle, Frau Calic, spielt denn in dieser Situation Albanien? Gibt es für so etwas wie großalbanische Fantasien Unterstützung?Calic: Es gibt Gruppen, sowohl in Albanien wie auch im Kosovo und auch in Mazedonien, die solche großalbanischen Fantasien haben, aber es ist sicherlich keine Mehrheitsmeinung, sondern das sind radikale Minderheiten. Albanien selber ist doch sehr zurückhaltend gewesen und das hat einen ganz einfachen Grund, nämlich die europäische Perspektive. Albanien verhandelt über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen und kann sich solche Fantasien gar nicht leisten, ist da sehr zurückhaltend und ich glaube, dass die albanische Führung auch weiß, dass das ganz unrealistisch wäre, eine solche großalbanische Fantasie weiterzuverfolgen. Heuer: Albanien ist zurückhaltend, gilt das auch für den Präsidenten der Provinz Kosovo, also für Ibrahim Rugova, der ja auch Albaner ist?Calic: Rugova repräsentiert natürlich als Staatsoberhaupt die gesamte Provinz, auch er ist ein Anhänger der möglichst schnellen Unabhängigkeit der Provinz und einer Unabhängigkeit, die möglichst ohne jede Bedingungen vonstatten gehen soll. Das ist natürlich ganz unakzeptabel aus internationaler Sicht, denn es ist klar, dass erst Institutionen funktionieren müssen, dass Rechtsstaatlichkeit etabliert sein muss und dass vor allem die ausufernde Gewalt und leider auch grenzüberschreitende organisierte Kriminalität, die vom Kosovo ausgeht in den Griff bekommen werden muss. Leider gibt es im Kosovo bei den politischen Eliten wenig Verständnis dafür, dass eben solche Bedingungen, also bestimmte Standards erst erfüllt sein müssen, bevor über den Staat des Kosovos langfristig diskutiert werden kann.Heuer: Jetzt schickt die NATO ja zusätzlich 350 Friedenssoldaten ins Kosovo, dort sind ja schon fast oder annähernd 20.000 KFOR-Soldaten stationiert. Bringt das denn jetzt was?Calic: Ja, ich glaube das Signal ist wichtig, denn wir haben ja gesehen, dass die Sicherheitslage sehr gefährlich ist und dass es in bestimmten Hot-Spots, also in bestimmten Spannungsregionen notwendig ist, zusätzliches Sicherheitspersonal zu entsenden, um eine gewisse abschreckende Wirkung zu erzielen oder um auch einfach zu signalisieren, dass die NATO dieser ausufernden Gewalt nicht tatenlos gegenüberstehen wird. Ich glaube, dass in den letzten Monaten es eine Tendenz gegeben hat, sich die Situation ein bisschen schön zu reden von internationaler Seite. Dahinter steht der Wunsch zu mehr Normalisierung und längerfristig auch dieses Projekt Kosovo zu einem Erfolg zu führen und die internationale Präsenz zu reduzieren, aber leider ist das ein sehr langfristiger Prozess und ich glaube, schnelle Resultate sollten wir nicht erwarten.Heuer: Nun hat die serbische Regierung der NATO militärische Hilfe im Kosovo angeboten. Sollte das Bündnis ein solches Angebot ernstlich erwägen?Calic: Nein, das ist natürlich ganz ausgeschlossen, denn nach der NATO-Intervention und dem Kosovo-Krieg ist es ganz unvorstellbar, das noch mal serbische Truppen in den Kosovo zurückkehren würden, das würde ja vielmehr Unruhe und Konfliktpotential schaffen als Gutes tun. Belgrad sieht natürlich jetzt eine Gelegenheit, sich wieder ins Spiel zu bringen und die NATO anzuprangern und überhaupt auch die internationale Staatengemeinschaft anzuprangern. Belgrad erhebt ja immer noch Rechtsanspruch auf Kosovo, beharrt auf dem Standpunkt, dass Kosovo im Grunde genommen ein Bestandteil, ein völkerrechtlicher Bestandteil Serbiens ist. Tatsächlich ist es aber so, dass der Status offen ist und über seine endgültige Statuslösung wird international verhandelt werden müssen.Heuer: Marie-Janine Calic war das, sie ist die Balkanexpertin der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Frau Calic.Calic: Bitte sehr.
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    Prozessbeginn gegen mutmaßliche Djindjic-Attentäter

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    Prozessbeginn gegen mutmaßliche Djindjic-Attentäter
    Calic: Also zum einen ist zu sagen, dass der Hauptverdächtige, nämlich der ehemalige Kommandeur der Roten Barette namens Legija immer noch flüchtig ist, der auch zu diesem dubiosen Zemun-Clan gehört hat beziehungsweise da enge Verbindungen hatte und damit eigentlich die Hauptperson, die zur Verantwortung gezogen werden müsste, immer noch nicht vor Gericht sitzt. Zum anderen ist zu sagen, dass noch viele Unklarheiten bestehen. Hinsichtlich des Attentatsverlaufs und der Begleitumstände hat es sehr widersprüchliche Zeugenaussagen gegeben, und was man vorhersagen kann, ist, dass dieser Prozess wahrscheinlich keine vollständige Aufklärung der Hintergründe des Attentats bringen wird.Renschke: Nun gehören diese Angeklagten ja zu einem Geflecht, kann man sagen, einer Verquickung von Polizei und Unterwelt, einem politisch kriminellen Komplex, der noch aus der Milosevic-Ära reicht. Wie konnte der überdauern in die Zeit danach?Calic: Ja, das ist in der Tat ein Erbe der Milosevic-Ära, nicht zuletzt auch hervorgerufen durch die langjährige Isolation dieses Landes und das Wirtschafsembargo, das über Serbien verhängt worden ist. Das hat eine eigenartige Mischung zwischen organisierter Kriminalität und ihren Beziehungen zum Sicherheitsapparat, aber auch zu politischen Kreisen hervorgebracht, was nach dem Übergang in die Demokratie nicht vollständig aufgelöst werden konnte. Es gibt da sehr vielfältige personelle Verbindungen. Nicht alle sind bislang vollständig aufgeklärt worden. Was uns eigentlich beunruhigen sollte, ist, dass sicherlich auch der Prozess nicht vollständig wird klären können, ob und inwieweit es politische Auftraggeber gegeben hat, die hinter dem Attentat an Djindjic stehen.Renschke: Haben denn auch Milosevic-Gegner mit diesen Kreisen paktiert in diesen Zeiten des Übergangs?Calic: Ja, das wird ihnen vorgeworfen. Vollständig aufgeklärt worden ist das nicht. Die demokratischen Parteien werfen in erster Linie Milosevic selbst und seiner Frau, aber auch dem Führer der radikalen Partei Seselj solche besondere Verantwortung vor, mit diesen Kreisen paktiert zu haben, aber auch der ermordete Ministerpräsident Djindjic ist in Verdacht geraten, längere Zeit als vielleicht nötig gewesen wäre mit diesen Kreisen paktiert zu haben. Es hat gerade jetzt im Vorfeld des Wahlkampfes sehr viele gegenseitige Vorwürfe gegeben, auch um die demokratischen Lager, wer mit wem mit welchem Hintergrund paktiert habe. Das Ganze ist in eine ziemliche Schlammschlacht ausgeartet, und man kann sicherlich nicht mit letzter Gewissheit sagen, wer und in welchem Maße sich Schuld aufgeladen hat. Renschke: Damit sind wir bei dem anderen Thema, über das wir sprechen wollen. Dieser Prozess fällt ja in eine Zeit, in der sich die Serben politisch in einer weiterhin schwierigen Situation befinden. Da ist das Präsidentenamt seit einem Jahr vakant, weil in drei Wahlgängen nicht die erforderliche Mehrheit erreicht wurde. Das Parlament ist aufgelöst und soll am nächsten Sonntag neu gewählt werden. Haben denn die Stimmberechtigten bei dieser Wahl klare Alternativen?Calic: Ja, die Stimmberechtigten haben durchaus klare Alternativen. Es ist nur leider so, dass sich im Vorwahlkampf ein sehr ungutes politisches Klima ausgebreitet hat der gegenseitige Vorwürfe. Korruption, politische Machtkämpfe sind da ans Tageslicht getreten, und es könnte durchaus sein, dass die weit verbreitete politische Frustration und Apathie auch bei diesen Wahlen wieder durchschlägt, das heißt, dass viele Leute vielleicht gar nicht zur Wahl gehen werden beziehungsweise dann zur Protestwahl greifen werden, was den radikalen Kräften in die Hände spielen könnte.Renschke: Für welche politischen Entwürfe stehen denn die Parteien, die zur Wahl stehen, was die mögliche Zukunft des Landes angeht?Calic: Wir haben nach den jüngsten Umfragen, die natürlich wahrscheinlich nicht ganz zuverlässig sein werden, aber doch vier große Parteien und ihre Verbündeten, die gegeneinander antreten. Da ist zum einen die Serbische Radikale Partei, die mindestens 16 Prozent der Stimmen erhalten soll, wenn nicht sogar mehr – bis zu 20 Prozent gehen die Prognosen. Sie steht für einen nationalen Kurs Serbiens, vertritt immer noch großserbisches Gedankengut, und das ist die Partei, von der alle im Westen hoffen, dass sie nicht stark aus diesen Wahlen hervorgehen wird. Wir haben dann die Demokratische Partei Serbiens, sie ist verbunden mit dem Namen des ehemaligen Präsidenten Kostunica, die ein eher gemäßigtes, nationalkonservatives Programm verfolgt, für eine starke Union Serbien-Montenegro eintritt, aber auch für Reformen, wirtschaftliche Reformen, auch innere Reformen wie die Zentralisierung. Wir haben dann das Lager der jetzigen Regierungspartei, der Demokratischen Partei und ihren Verbündeten. Die Demokratische Partei verspricht eine Fortsetzung des jetzigen Reformkurses, insbesondere auch im Bereich der Bekämpfung von Korruption und Kriminalität. Damit hat sie sich in den letzten Monaten in Position gebracht. Hinzu kommt noch eine bislang etwas kleinere Partei, die aber in den letzten Monaten sehr stark an Unterstützung gewonnen hat, die so genannte G 17 Plus, die für euroatlantische Integration steht, ganz radikale marktwirtschaftliche Reformen vorsieht und Serbien lieber heute als morgen von Montenegro unabhängig machen möchte.Renschke: Und insgesamt ist nirgendwo eine solche Person zu erkennen, die so stark und prägend war wie der vor neun Monaten ermordete Djindjic?Calic: Man kann eine solche Person in der Form sicherlich nicht erkennen. Man muss aber sagen, es gibt Personen, die auch in diesem neuen Parteienspektrum eine gewisse Glaubwürdigkeit haben. Kostunica von der Demokratischen Partei Serbiens ist eine Person, die sicherlich nicht viel Charisma hat, aber eine hohe Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung besitzt. Er ist bisher frei von Skandalen und trägt das Image, eine Volkspartei zu vertreten. Auch der Kandidat der Demokratischen Partei Tadic ist recht beliebt und frei von Skandalen und besitzt eine recht hohe Glaubwürdigkeit. Deshalb glaube ich, dass auch nach den Parlamentswahlen wieder eine Person hervorwachsen könnte, die vielleicht nicht ganz denselben Profil wie Djindjic hat, aber doch auch mit einer gewissen Ausstrahlung und mit einem gewissen Profil den serbischen Reformkurs fortsetzen könnte.Renschke: Und die es schaffen wird, das Land und die Situation weiter zu stabilisieren?Calic: Ja, das ist eine andere Frage, denn Serbien kämpft mit sehr grundlegenden Problemen, die auch eine neue Regierung nicht ohne Weiteres wird lösen können. Wir müssen leider sehen, dass aus den Wahlen keine stabile Regierung hervorgehen wird, sondern die zur Wahl stehenden Parteien und Parteiengruppierungen werden alle mehr oder weniger gleich stark sein. Es ist also unklar, wie schnell eine Regierungsbildung überhaupt zu Stande kommt, wie stabil eine solche neue Regierung überhaupt sein kann. Das Land Serbien und Serbien-Montenegro kämpft mit sehr tiefgreifenden Problemen, zuallererst die ganze Frage der Transformation, also wirtschaftliche Fragen, Privatisierung, Arbeitslosigkeit, geringe Einkommen der Bevölkerung, dann die ganze Frage der institutionellen Neuordnung in diesem Land – Serbien liegt im institutionellen Chaos -, dann kommt die Frage der territorialen Souveränität, also die Frage, wem wird Kosovo langfristig gehören und wird die Staatenunion Serbien-Montenegro überleben können.Renschke: Vielen Dank für das Gespräch.