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Kommentar zur Ukraine
Selenskijs Antikorruptionskampf entscheidet über EU-Zukunft seines Landes

Wolodymir Selenskijs Tatendrang, korrupte Unternehmer und Beamte aus dem Verkehr zu ziehen, zeige, dass sich der Präsident der Ukraine seiner Verantwortung bewusst sei, kommentiert Sabine Adler. Er müsse aber auch für eigene Fehltritte einstehen.

Ein Kommentar von Sabine Adler | 02.02.2023
Der ukrainische Präsident Wolodymiyr Selenskiyj kratzt sich bei einer PK in Kiew am Kopf
Der ukrainische Präsident Wolodymiyr Selenskiyj muss für die Flecken auf seiner eigenen Weste geradestehen, kommentiert Sabine Adler. (picture alliance / ROLAND SCHLAGER / APA / picturedesk.com / ROLAND SCHLAGER)
Mit 50 Milliarden Euro hat die Europäische Union die Ukraine seit Beginn der russischen Invasion unterstützt. Und es werden weitere Gelder fließen, vorausgesetzt, Kiew setzt sie zweckgemäß ein. Der Tatendrang des Präsidenten, korrupte Unternehmer und Beamte rigoros aus dem Verkehr zu ziehen, scheint davon zu zeugen, dass sich Wolodymiy Selenskij seiner Verantwortung sehr wohl bewusst ist.

Als Schauspieler hatte er eine weiße Weste, so wie sein Held in der Fernseh-Satire „Diener des Volkes“. Der verzweifelte an der Korruption im Land, kämpfte aber trotzdem gegen sie. Ganz nach dem Motto: Du hast keine Chance, also nutze sie.

Selenskijs späte Distanzierung vom einstigen Förderer

Für die Menschen, die es leid sind, bei jedem Gang zum Arzt oder aufs Amt Schmiergeld mitzunehmen, wurde Selenskij zum Publikumsliebling. Was Ihor Kolomojskij, einer der abgebrühtesten Oligarchen, auf eine Idee brachte. Ihm gehört der Sender, der die Satire zeigte. Kolomojskij besitzt oder besaß schon Fußballklubs, Banken und Fluggesellschaften. Nun wollte der Mann mit dem Rauschebart seinen eigenen Präsidenten. Und so schuf er ihn sich, setzte das Drehbuch im wahren Leben um. Der Serienheld wurde Präsident, mit 73 Prozent der Stimmen - was Selenskijs weiße Weste befleckte.
Von Anfang an stand die Frage im Raum, ob er Kolomojskijs Marionette sein würde. Zwar ging er das Korruptionsproblem an, knöpfte sich zunächst aber vor allem Petro Poroschenko vor, seinen Herausforderer bei der Wahl, Ex-Präsident und ebenfalls steinreicher Oligarch. Erst sehr viel später, nämlich im November, wagte er, sich von Kolomojskij zu distanzieren.
Er entzog ihm die Staatsbürgerschaft, auch weil Kolomojskij inzwischen auf der US-Sanktionsliste stand. Erst jetzt, da er seinen Förderer ins Visier nahm, begannen die Ukrainer, ihrem Präsidenten und seinem Antikorruptionskampf zu trauen, die Razzia gestern tat ein Übriges.

Es liegt an Selenskij, den Weg nach Brüssel zu ebnen

Dass aber auch Selenskij nicht gut schlafen dürfte, liegt nicht nur am Krieg, nicht nur daran, dass in Europa nur Russland noch korrupter als die Ukraine ist, sondern wohl auch an seinem eigenen belasteten Gewissen. Denn der Präsident soll selbst Miteigentümer einiger Briefkastenfirmen in verschiedenen Steueroasen gewesen sein. Und er soll von Geld profitiert haben, zu dem sein Ziehvater Kolomojskij durch einen gigantischen Betrug gekommen sein soll.
Seitdem ist viel passiert, der russische Einmarsch, die milliardenschweren EU-Hilfen, der Kandidatenstatus der Ukraine. An Selenskij liegt es nun, seinem Land den Weg nach Brüssel zu ebnen oder aber ihn für lange Zeit zu verbauen, denn eine korrupte Ukraine braucht niemand in der EU. Das heißt auch, für die Flecken auf seiner eigenen Weste geradezustehen.
Korrespondentin Warschau
Sabine Adler, Journalistin und Buchautorin. Journalistik-Studium Universität Leipzig, danach Sender Magdeburg, radio ffn, Deutsche Welle. Seit 1997 beim Deutschlandradio, u.a. als Russland-Korrespondentin, Leiterin des Hauptstadtstudios. 2011-2012 Leiterin Presse und Kommunikation Deutscher Bundestag. Danach Osteuropakorrespondentin, derzeit Leiterin des Reporterpools.