Entschädigung von betroffenen Ländern für irreparable Schäden aufgrund der Klimakrise - dieses Thema steht bei der 27. Weltklimakonferenz in Scharm el-Scheich erstmals offiziell auf der Tagesordnung. In der Vergangenheit haben sich die großen Emittenten, das heißt die Industrieländer des globalen Nordens, gegen Forderungen nach Zahlungen für Verluste und Schäden gestemmt. Ein Grund: Es geht um gewaltige Summen, denn die globale Erwärmung verursacht inzwischen gewaltige Schäden. 2022 mit gewaltigen Fluten in Pakistan und Nigeria sowie verheerenden Wirbelstürmen und Dürren dürften zum Umdenken beigetragen haben.
Die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Svenja Schulze, begrüßte im Interview mit dem Deutschlandfunk, dass bei der COP 27 nun offiziell über Entschädigungszahlungen gesprochen wird. Deutschland komme dabei seiner Verantwortung bereits nach, betonte die SPD-Politikerin. Es seien bereits 5,3 Milliarden Euro aus öffentlichen Mitteln und zusammen mit privaten Investment sogar mehr als acht Milliarden Euro gezahlt worden. Dieses Ausgaben würden weiter gesteigert. Darüber hinaus habe Deutschland mit den am stärksten betroffenen Ländern bereits Maßnahmen entwickelt, um auf Schäden und Verluste infolge der Klimakrise besser reagieren zu können.
Das Interview im Wortlaut:
Stefan Heinlein: Die Finanzierung von klimabedingten Schäden und Verlusten steht nun erstmals auf der offiziellen Tagesordnung einer Klimakonferenz. Wird das jetzt ein richtig teurer Klimagipfel für Deutschland und die anderen Industrienationen?
Svenja Schulze: Erst mal ist es wirklich wichtig, dass dieses Thema auf die Tagesordnung gekommen ist, weil wir sehen ja weltweit, dass die Klimakrise auch erhebliche Schäden anrichtet. Da verweisen gerade die Länder, die am stärksten betroffen sind, natürlich auf Solidarität und sagen, sie haben das wenigste zu dieser Klimakrise beigetragen und sie leiden jetzt aber schon unter den Folgen. Deswegen ist das gut, dass wir da jetzt auf der Konferenz drüber sprechen. Ich bin davon überzeugt, dass Deutschland ein ganz, ganz wichtiger Brückenbauer sein kann.
"Deutschland hilft jetzt schon mit Mitteln für den Klimaschutz"
Heinlein: Es ist gut, dass man in Scharm El-Scheich darüber spricht. Werden Sie denn auch handeln? Sprich: Werden Sie auch Geld zahlen und wenn ja wieviel?
Schulze: Deutschland ist deshalb auch ein guter Brückenbauer, weil wir unserer Verantwortung da wirklich nachkommen. Wir haben inzwischen schon 5,3 Milliarden Euro, die wir öffentlich zahlen, über acht Milliarden, wenn man das private Investment dazurechnet, und wir werden diese Ausgaben noch weiter steigern. Und wir sind diejenigen, die mit den am stärksten betroffenen Ländern, mit den vulnerablen Ländern schon erste Maßnahmen entwickelt haben.
Ich habe auf der Weltbank-Konferenz vor wenigen Wochen mit solchen Staaten wie Ghana zum Beispiel einen globalen Schutzschirm gegen Klimarisiken vorstellen können und das ist genau das, was die Menschen in den Ländern brauchen. Wenn der Schaden eintritt, wenn die Ernte vernichtet wird über Dürre, dann muss sofort Hilfe da sein wie bei einer Versicherung und darf nicht erst viel, viel später kommen.
Heinlein: Habe ich das richtig verstanden, Frau Schulze? Deutschland zahlt bereits Schwellen- und Entwicklungsländern Entschädigungen für die Folgen des Klimawandels?
Schulze: Deutschland hilft jetzt schon mit Mitteln für den Klimaschutz und wir helfen auch, sich an Schäden und Verluste anzupassen, und darum geht es ja. Die Länder wollen Unterstützung haben, jetzt mit diesen Risiken umzugehen. Dieser globale Schutzschirm gegen Klimarisiken, das ist ein ganz konkreter Vorschlag, den wir mit den sogenannten V20, den vulnerabelsten Staaten der Welt entwickelt haben.
Stärker soziale Sicherungssysteme in der Welt aufbauen
Heinlein: Aber mit schönen Worten, Frau Ministerin, von einem globalen Schutzschirm werden sich die Entwicklungsländer ja wohl jetzt nicht mehr zufrieden geben. Wie viele Euro wird die Bundesregierung bereitstellen, um die Folgen der Klimadürre etwa in einem Land wie Somalia zu lindern?
Schulze: Es geht nicht um schöne Worte, sondern es geht darum, dass die Hilfe schneller bei denjenigen ankommt, die sie unbedingt brauchen. Wir in Deutschland sind ja gewohnt, dass wir ein Sozialsystem haben, aber 80 Prozent der Menschen zum Beispiel auf dem afrikanischen Kontinent haben keine sozialen Sicherungssysteme. Da tritt nichts ein oder da gibt es keine Hilfe, wenn es jetzt klimabedingte Schäden gibt.
Deswegen muss das uns gelingen, stärker soziale Sicherungssysteme in der Welt aufzubauen. Und klar: Das muss auch mitfinanziert werden. Deswegen hat Olaf Scholz ja noch mal sehr deutlichgemacht, dass wir unsere Mittel anheben werden. Der Plan ist, bis 2025 sechs Milliarden Euro für die Klimafinanzierung zur Verfügung zu stellen, und damit gehen wir voran und wollen auf dieser Konferenz jetzt dafür werben, dass andere auch mitgehen.
Verschuldeten Ländern helfen
Heinlein: Wie stehen Sie denn zu den Forderungen, den armen Ländern jetzt ihre Schulden zu erlassen als Kompensation für die katastrophalen Folgen des Klimawandels in vielen Regionen?
Schulze: Viel zu viele Länder auf der Welt und gerade arme Länder sind sehr, sehr stark verschuldet und deswegen müssen wir ihnen helfen, weil sie können es nicht mehr selber und sie sind verschuldet bei den reichen Ländern, und zwar nicht nur bei den Staaten, sondern immer stärker auch bei Privaten, bei Banken, die die Situation auch ausnutzen. Da gibt es so was wie Geier-Fonds, über die wir inzwischen auch wissen und sprechen. Deswegen müssen wir auch in der Schuldenfrage Antworten finden. Das kann nicht ein einfacher Schuldenschnitt sein, weil es sind gar nicht nur Schulden bei Staaten, sondern das muss ein differenzierteres System sein. Es gibt einen ersten Rahmen, der funktioniert aber noch nicht.
Heinlein: Wie könnte denn diese Antwort aussehen?
Schulze: Eine Antwort könnte sein, dass man Staaten es erleichtert, von diesen Schulden runterzukommen, dass man Schulden umwandelt. Wir machen das als Deutschland zum Teil, dass wir helfen und gar nicht direkt einen Zuschuss geben, sondern einfach Schulden umwandeln, um da wieder den Ländern Bewegungsmöglichkeit zu geben. Viele können Hilfen gar nicht mehr annehmen, weil sie gar nicht in der Lage sind, damit umzugehen, das zu verwalten, und deswegen ist es so wichtig, gerade den Schwellen- und Entwicklungsländern und den ganz armen Ländern, die gar nicht sich mehr bewegen können, jetzt zu helfen.
Klimapartnerschaften mit Ländern des Globalen Südens
Heinlein: Sie sagen, es geht nicht um schöne Worte. Da haben Sie mich gerade korrigiert. Aber blicken wir mal auf die Fakten. Schon 2009 haben die reichen Länder - dazu gehört auch Deutschland - den Schwellen- und Entwicklungsländern die stolze Summe von 100 Milliarden Euro zugesagt für Klimaschutzmaßnahmen. Das ist jetzt der zweite Punkt. Dieser Wumms ist bislang noch nicht vollständig erfolgt. Warum?
Schulze: Ja, wir sind deutlich zu spät. Die Summe kommt zusammen, aber sie kommt nicht zusammen zu dem Zeitpunkt, zu dem wir das zugesagt haben. Das führt auch dazu, dass es einen Vertrauensverlust bei den Entwicklungsländern gibt, beim globalen Süden, wenn man das so nennen will, gibt. Deswegen müssen wir jetzt auch Vertrauen wieder aufbauen. Deswegen ist es ganz zentral, dass wir progressive Allianzen bilden, dass wir ganz konkret zeigen, wie kann man denn jetzt Klimaschutz auch vor Ort betreiben.
Wir haben auf der letzten Klimakonferenz eine Partnerschaft, die Gerechtigkeit voranbringen will im Klimaschutz, mit Südafrika vorgestellt. Das ist eines der Beispiele, die jetzt auch immer wieder genannt werden, und solche Klimapartnerschaften wird Deutschland, werden wir auch aus G7 heraus weiter verstärken. Ganz konkrete Hilfe zum Beispiel beim Ausstieg aus der Kohle, aber dann die Menschen da nicht alleine lassen, sondern auch helfen, erneuerbare Energien voranzubringen, neue Arbeitsplätze zu schaffen und bei den schon eingetretenen Schäden zu helfen.
Heinlein: Wie passt, Frau Schulze, zu dem, was Sie sagen, die Tatsache, dass in der aktuellen Haushaltsplanung der Ampel die Mittel für die internationale Klimafinanzierung nur sehr bescheiden wachsen? Das betrifft ja direkt Ihr Ressort. Warum bleiben Sie da hinter den eigenen Ansprüchen, die Sie gerade jetzt auch noch einmal formuliert haben, so deutlich zurück?
Schulze: Ja, das passt noch nicht zusammen. Aber die Pläne, die wir haben, sind ganz klar. Wir sind jetzt schon bei Haushaltsmitteln von über 5,3 Milliarden Euro. Vier hatten wir zugesagt; 5,3 schaffen wir jetzt schon. 2025 werden wir das auf sechs Milliarden erhöhen. Das haben wir bisher immer wieder geschafft und das werden wir auch jetzt schaffen. Klimaschutz steht bei dieser Koalition ganz oben auf der Tagesordnung und ich bin ganz zuversichtlich, dass wir das im Weiteren dann auch nachweisen werden.
"Mit allen Ländern zusammen den Klimaschutz vorantreiben"
Heinlein: Sie reisen erst kommende Woche ans Rote Meer. Der Kanzler ist bereits heute in Ägypten, in Scharm El-Scheich, wird eine Rede halten. Wie konkret wird er da Zusagen machen und den Entwicklungsländern mehr Geld für den Klimaschutz aus dem deutschen Haushalt zur Verfügung stellen?
Schulze: Gerade weil ja Deutschland Brückenbauer sein will und Brückenbauer sein muss, wird Olaf Scholz sehr konkret vorstellen, was wir mit den ärmsten Ländern zusammen auch erarbeitet haben, und wird auch die finanziellen Unterstützungen nennen. Das muss auch so sein. Wir müssen andere mitziehen. Es sind ja nicht mehr nur die Industrieländer, die ein Problem machen. Zwei Drittel der Treibhausgas-Emissionen im Moment kommen aus Schwellen- und Entwicklungsländern. Das heißt, alle zusammen müssen es schaffen, diese Klimakrise zu bewältigen.
Heinlein: Können sich denn arme Länder, ein Schwellenland wie Ägypten, überhaupt diesen Klimaschutz leisten, auch wenn Geld jetzt aus Deutschland und anderen Industrienationen kommt? Ein Taxifahrer in Kairo wird sich auf absehbare Zeit keinen schicken Tesla leisten können.
Schulze: Nein, aber es muss trotzdem uns gelingen, mit allen Ländern zusammen den Klimaschutz voranzutreiben. Es geht nicht, dass heute noch neue Kohlekraftwerke gebaut werden. Dafür gibt es gute Alternativen mit den erneuerbaren Energien. Der Ausstieg aus Kohle, aus Öl, aus Gas, der konsequente Schutz auch unserer Natur, das ist eine gemeinsame Aufgabe für die ganze Welt. Deswegen sind diese Klimakonferenzen auch immer wieder so wichtig. Das ist schwierige Arbeit. Das ist nicht leicht.
So eine Klimakonferenz ist das Bohren dicker Bretter. Aber wir kommen auch wirklich voran und deswegen bin ich auch sehr froh, dass das jetzt wieder gelingt, dass wir mit so vielen Menschen auf dieser Klimakonferenz vertreten sind und dass wir sehr offensiv Vorschläge machen und sehr deutlich sagen, wie man denn jetzt mit dieser Krise umgehen kann.
"Deutschland hat eine große Rolle"
Heinlein: Müssen wir, um beim Stichwort Taxi und Tesla zu bleiben, auch aufhören, unsere alten Diesel und Spritfresser nach Afrika zu exportieren? Was hier ausgemustert wird, landet ja dann oft in Kairo, Lagos oder Nairobi.
Schulze: Es muss uns gelingen, dass diese gemeinsame Verantwortung, die wir für die Welt haben, auch überall wahrgenommen wird. Das ist für ärmere Länder deutlich schwieriger, aber es hilft nichts. Wir haben nur diese eine Welt. Wir haben nur eine Atmosphäre und wir müssen gemeinsam den Klimaschutz voranbringen. Wir müssen gemeinsam auch die Anpassung an die Veränderungen, die es heute schon gibt, voranbringen. Dazu sind diese Konferenzen wirklich wichtig.
Deutschland hat da eine große Rolle, weil wir immer wieder zwischen den Industriestaaten auf der einen Seite und den Entwicklungsländern auf der anderen Seite Brücken bauen können. Wir sind diejenigen, die sehr viel für Entwicklung tun. Wir sind oft einer der größten Finanziers der Unterstützung für die Entwicklungsländer und deswegen sind wir da auch ein sehr glaubhafter Brückenbauer.
Heinlein: Jetzt haben Sie meine Frage nach den alten Dieseln nicht beantwortet. Dennoch vielen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.