Dienstag, 19. März 2024

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Aktivistin Luisa Neubauer
Müssen in der Klimakatastrophe Anstand beweisen

Fridays-for-Future-Mitbegründerin Luisa Neubauer hat die Bundesregierung im Interview der Woche aufgefordert, bei der Klimakonferenz in Ägypten die Blockade-Haltung gegenüber Schadenersatzforderung armer Entwicklungsländer aufzugeben. Die EU und die USA müssten endlich Zusagen machen.

Luisa Neubauer im Gespräch mit Jule Reimer | 06.11.2022
Klimaaktivistin Luisa Neubauer von Fridays for Future sitzt während eines Pressegesprächs im Dorf Lützerath am Rande des Braunkohle-Tagebaus Garzweiler II von RWE - an der Jacke trägt sie ein gelbes Kreuz, Symbol des Widerstands gegen die Braunkohle.
Die Klimaschutz-Aktivistin Luisa Neubauer kritisierte Überlegungen der Bundesregierung, eine mögliche Erdgasförderung im westafrikanischen Senegal zu unterstützen (picture alliance / dpa / David Young)
Das Thema "Loss and Damages", also nicht nur Zahlungen durch die Industriestaaten an arme Entwicklungsländer für die Anpassung an die Wetterextreme, sondern Schadensersatz, steht bei der UNO-Klimakonferenz im ägyptischen Scharm el-Sheikh zum ersten Mal offiziell auf der Tagesordnung. Bislang haben die wohlhabenderen Industrie- und Schwellenländer es abgelehnt, Schäden und Verluste zu kompensieren, die Wetterextreme wie Überschwemmungen und Dürren auslösen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sei da gefragt, "seine Stimme zu nutzen, damit die EU Zusagen macht", so Luisa Neubauer im Interview der Woche im Dlf.
Neubauer sprach sich außerdem scharf dagegen aus, dass die deutsche Bundesregierung eine mögliche Erdgasförderung im Senegal unterstützt. Das Erdgas würde frühestens 2028 in Deutschland landen, wenn Deutschland bereits mit großer Geschwindigkeit aus dessen Nutzung rauskommen müsse, kritisierte sie.
Wenn Bundeskanzler Scholz mit seiner Reise in den Senegal der deutschen Öffentlichkeit signalisiere, man würde damit die aktuelle Energiekrise bewältigen, handele es sich um „ein wirkliches Energie-Theater“. Neubauer forderte dagegen, afrikanische Staaten beim Ausbau der Erneuerbaren Energien zu unterstützen. Es gebe bereits tragfähige, belastbare Konzept, um die Energiearmut dort mit dem Einsatz Erneuerbarer Energien zu überwinden.

Das komplette Interview im Wortlaut:

Jule Reimer:   Warum treffen wir Sie in Istanbul an?
Luisa Neubauer: Ja, das ist eine gute Frage. Am Montag beginnt die Weltklimakonferenz im ägyptischen Sharm el-Sheikh und wir als Klimaaktivist*innen aus Deutschland, aber auch aus Europa haben uns gefragt: Wie kommen wir da hin? Wie gehen wir mit dieser Distanz um und mit dem Mittelmeer, was uns da ein bisschen trennt. Und wir haben entschieden, dass wir den größten Teil der Strecke mit Bus und Bahn zurücklegen wollen. Also wir sind von Berlin vor fünf Tagen losgefahren, über Warschau, Budapest, Belgrad, Sofia und jetzt in Istanbul angekommen. Und dann geht es von hier aus weiter zur Klimakonferenz.
Reimer: Warum haben Sie nicht den Weg über Italien und dann vielleicht weiter mit der Fähre gewählt?
Neubauer: Ja, da wussten wir nicht so recht, wie man das erklären kann und wie man das vor sich selbst moralisch in gewisser Weise rechtfertigen kann, dann praktisch an den vielen, vielen, vielen Geflüchteten, an den toten Menschen auf dem Mittelmeer in die entgegengesetzte Richtung zu fahren als wäre nichts. Das hat sich aus verschiedenen Gründen nicht richtig angefühlt. Und dazu kam auch die Feststellung, dass es dann auch ein bisschen unklar ist, wie man weiterreisen könnte.
Reimer: In welcher Funktion nehmen Sie an der Weltklimakonferenz teil?
Neubauer: Ich bin Teil der internationalen UNICEF-Delegation. UNICEF hat praktisch eine Jugenddelegation bereitgestellt, die aus verschiedenen Ländern und Kontinenten heraus gerade für Kinder- und Jugendrechte bei der Klimakonferenz einstehen. Wir als deutsche Aktivist*innen sind alle mit Nichtregierungsorganisationen da, also Teil der Zivilgesellschaft, und sind vor Ort, um eben deutlich zu machen: Der Druck auf die Regierung, der ist da, der geht auch nicht weg, auch wenn man die Klimakonferenz weit weg irgendwohin verlegt. Und wir gucken genau hin, was dort gemacht wird, denn wir verstehen, es geht um alles. Es geht um alles, was wir haben da.

Gefährlicher Kipppunkt: Abschmelzen des Grönlandeis-Gletschers

Reimer: Im Pariser Klimaschutzabkommen hat die Staatengemeinschaft unterschrieben, den Anstieg der mittleren Erdtemperatur bis zum Ende des Jahrhunderts auf maximal zwei Grad, möglichst aber 1,5 Grad zu beschränken. Was ist an einem halben Grad Unterschied weltbewegend?
Neubauer: Alles. Ich hoffe auch, dass das mittlerweile den meisten Menschen zumindest halbwegs klar ist, nachdem wir 40 Jahre lang Klima-Aufklärung betrieben haben und es sozusagen keinen Ort mehr gibt, wo nicht über das Klima gesprochen wird, zumindest ein bisschen. Wenn wir das schaffen, und das ist ja das wichtigste Ziel, die globale Erhitzung auf 1,5 Grad – oder so nah, wie wir nur irgendwie da rankommen können – zu begrenzen, dann haben wir eben noch eine Chance, sogenannte Kipppunkte zu vermeiden. Das sind eben Punkte, an denen große Teile vom Klimasystem umkippen. Und dann beginnt ein Strudel, ein chaotischer, unberechenbarer und vor allem unaufhaltbarer Strudel an Erhitzung, an …
Reimer: Der beginnt aber noch nicht notwendigerweise bei zwei Grad. Haben Sie ein konkretes Beispiel, wo man erfassen kann, was den Unterschied ausmacht mit diesem halben Grad?
Neubauer: Na ja, das ist genau diese Grenze, die da gezogen wird. Es ist ja sozusagen eine wissenschaftliche Grundlage, auf die diese 1,5 Grad gründen. Also zum Beispiel ist ein großer, gefährlicher Kipppunkt das Abschmelzen des Grönlandeis-Gletschers und das würde eben weltweit für Folgen sorgen. Das kann man sich nicht richtig ausmalen. Da geht es nicht nur darum, dass dann irgendwie so ein bisschen mehr Wasser in den Ozeanen ist, und dass es mehr Überflutungen gibt. Auch verändert sich die Zusammensetzung des Ozeanwassers, es wird dann tendenziell kühler. Es wird weniger salzhaltig.
Und all das, das ist oftmals nicht in den Köpfen der Menschen. Aber wir sind unglaublich abhängig davon, dass die Klimasysteme, die Meeressysteme, die Luftsysteme und all das, dass das stabil in den Bahnen verläuft, in denen wir als Menschen halt bisher gelebt haben. Wir sind überhaupt nicht vorbereitet. Wir können uns auch nicht schützen in irgendeiner Art und Weise, falls die Systeme tatsächlich so umkippen, wie sie im schlimmsten Fall umkippen können. Und dafür zählt nicht nur dieses 0,5 Grad zwischen 1,5 und zwei Grad. Dafür zählt auch jedes Zehntelgrad, für das wir kämpfen, für das wir einstehen.
Reimer: Wir stehen jetzt weltweit gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter – also Beginn der Messungen um 1880 – schon bei einem Plus von 1,2 Grad. In Deutschland liegt die Erwärmung sogar noch deutlich höher. Wenn jetzt dieses 1,5-Grad-Ziel bis zum Ende des Jahrhunderts erreicht werden soll, dann, sagen die Klimawissenschaftler, müssten wir den Ausstoß von Treibhausgasen, also CO2, Methan etc. bis 2030 halbieren. Und das bedeutet vor allen Dingen für Industriestaaten eine Reduktion um sieben Prozent pro Jahr. Da frage ich Sie: Wie sollen wir das hinbekommen?
Neubauer: Ja, vielleicht einmal von vorne angefangen: Das 1,5-Grad-Ziel ist kein Ziel in dem Sinne. Es ist eher eine Lebensgrenze, die gezogen wurde. Also 1,5 Grad wurde wissenschaftlich definiert als einer von diesen „Points of no Return“. Das heißt alles und in der Welt sind wir als Menschen – nicht jetzt nur als Aktivist*innen, sondern als Menschheit – auch gefragt, dafür zu kämpfen mit all dem, was wir haben, auch mit all den Lösungen, die wir haben, dass wir diese 1,5 Grad-Grenze überhaupt nicht erst erreichen. Und wenn wir sie erreichen, eben nicht weit darüber landen. Und das bindet sich auch nicht zwangsläufig an irgendeine Jahreszahl.
Dass das ein unglaublicher Kraftakt ist, das stellt auch niemand in Frage. Dass es möglich ist hingegen, das wissen wir. Die technologischen Möglichkeiten sind da. Die politischen Konzepte sind da, auch in weiten Teilen, vor allem des globalen Nordens gibt es längst ja die politischen Mehrheiten für viele der Maßnahmen. Was unrealistisch ist, was komplett unwahrscheinlich und wahrscheinlich sogar wirklich abwegig ist, ist, dass wir als Gesellschaft in Deutschland, aber auch als Menschheit weltweit in irgendeiner Form von Frieden und Demokratie miteinander leben, wenn wir es nicht schaffen, die Klimasysteme um uns herum zu stabilisieren.

"Der große Verzicht, das ist erstmal die Klimakatastrophe"

Reimer: Dann stellt sich aber trotzdem die Frage nach der Umsetzung. Einen Rückgang über sieben Prozent hatten wir ein einziges Mal in der Geschichte im Corona-Jahr 2020. Da standen viele Fabriken still, Flugzeuge blieben komplett am Boden, der Verkehr war weltweit drastisch eingeschränkt. Homeoffice galt, Urlaubsreisen waren out, das heißt ein erheblicher Verzicht.
Neubauer: Wow. Also, wenn wir über Verzicht in der Klimakrise sprechen, dann können wir vielleicht da anfangen, wo wir heute überall drauf verzichten. Aktuell verzichtet jedes Kind auf der Welt auf die Perspektive darauf, auf einer sicheren Welt alt zu werden. Menschen überall verzichten auf Sicherheit vor ihrem Zuhause. Menschen in Brandenburg haben diesen Sommer erlebt, wie es aussieht, wenn man evakuiert werden muss. Menschen im Ahrtal müssen jetzt zwangsläufig darauf verzichten, an dem Ort alt zu werden, wo sie geboren sind, wo sie ihren Wohlstand aufgebaut haben. Der Verzicht ist ja da.
Der große Verzicht, das ist erstmal die Klimakatastrophe. Und alles andere, was kommt, das werden natürlich viele Verhaltensveränderung sein, es werden sich Gewohnheitsveränderungen machen. Wir werden auch natürlich sozusagen Dinge umstellen müssen, und wenn man möchte, kann man das mit Verzicht labeln. Nun machen wir das ja nicht, weil wir sonst nichts zu tun haben und weil irgendwelche Klimakinder mit einem Ökoprojekt um die Ecke kamen, sondern wir tun ja all das, damit wir nicht auf alles verzichten müssen, was wir überhaupt brauchen, um in stabilen Demokratien miteinander leben zu können.
2019 in Hamburg: Luisa Neubauer, deutsche Klimaaktivistin und eine der Hauptorganisatorinnen des Schulstreiks Fridays for Future, und Greta Thunberg. Die schwedische Klimaaktivistin war erstmals für einen Schulstreik für mehr Klimaschutz nach Deutschland gekommen.
2019 in Hamburg: Luisa Neubauer, deutsche Klimaaktivistin und eine der Hauptorganisatorinnen des Schulstreiks Fridays for Future, und Greta Thunberg. Die schwedische Klimaaktivistin war erstmals für einen Schulstreik für mehr Klimaschutz nach Deutschland gekommen. (pa/dpa/Daniel Bockwoldt)
Reimer: Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg hat ihre Teilnahme an der Weltklimakonferenz abgesagt. Sie bezeichnete die Konferenz als Forum für Greenwashing statt echtem Klimaschutz. Warum fahren Sie, ja, trotzdem hin?
Neubauer: Ja, ich kann das total verstehen. Wir fahren alle mit gemischten Gefühlen da hin. Das hat was damit zu tun, dass diese Bilanz der Klimakonferenzen eine mittlere Katastrophe ist, also seit es die erste Klimakonferenz gegeben hat, haben wir ja unendlich viele Versprechen gesehen. Und kaum ein Versprechen wurde letztendlich eingehalten. Es ist eben auch …
Reimer: Das stimmt so nicht. Ich meine, wir sind ja immerhin bei einer Art, ja, Plateau der Emissionen.
Neubauer: Das stimmt tatsächlich so nicht. Also, die neuesten Reports der UN zeigen, dass wenn alle Staaten ihre Klimaversprechen einhalten bisher – und die meisten Staaten halten nicht mal ihre eigenen Klimaversprechen ein – aber sollten alle Staaten ihre Klimaversprechen einhalten, dann werden die Emissionen bis 2030 um weitere zehn Prozent ansteigen. Dabei müssten sie bis 2030 halbiert sein.

"Bilanz der Klimakonferenzen ist nicht gut"

Reimer: Sie müssen aber auch den Entwicklungsländern da noch ein bisschen Luft zugestehen.
Neubauer: Das ist ja schon die Luft, die da zugestanden wird. Also das ist ja sozusagen schon einkalkuliert. Das heißt, die Art und Weise, wie euphorisch, hochengagiert Staaten Versprechen machen, entspricht in keiner Weise dem Engagement, das dann gezeigt wird, um auch diese Versprechen einzuhalten. Als würden wir dann alle nach Hause gehen und nicht mehr hingucken. Dabei gibt es ja genau all diese Mechanismen, die das nachverfolgen. Kurzum, die Bilanz der Klimakonferenzen ist nicht gut.
Und es gibt jeden Grund, davon auszugehen, dass die Klimakonferenzen nicht der Ort sein werden, wo jetzt die Klimakrise gelöst wird. Das glaube ich auch nicht. Wir wissen, dass es im Endeffekt darauf ankommt, dass sich Menschen, Zivilgesellschaft, Institution überall und vor allem in den Ländern vor Ort zusammentun und für den Wandel einstehen. Nur gleichzeitig brauchen wir, für globale Krisen brauchen wir globale Verhandlungsräume. Und gerade, weil so viele Gerechtigkeitsfragen im Raum stehen.
Reimer: Sie haben es schon angesprochen. Ein wichtiges Thema auf der jetzigen Weltklimakonferenz wird sein die Frage nach Schadensersatz. Das heißt also nicht nur Zahlungen durch die Industriestaaten an arme Entwicklungsländer für die Anpassung an die ganzen Wetterextreme, sondern Schadensersatz – Loss and Damage ist der Fachbegriff – gegen bereits vorhandene Schäden bei Überschwemmung bzw. all diese Schäden, die dann noch weiter eintreten. Warum ist das jetzt erst Thema? Und warum tun sich die Industriestaaten so schwer dabei?
Neubauer: Ja, also, da geht es wirklich um die sozusagen, ja, Schulden der Staaten der Welt, die die Klimakrise am meisten verursacht haben. Das ist unter anderem auch allen voran Deutschland, die wir bei den Ländern haben, wo die Klimakrise eben in volle Kanne jetzt gerade schon alles auf den Kopf stellt. Das ist ja unsere Verantwortung. Dafür müssen wir einstehen. Das Thema an sich – Loss and Damage – ist seit Ewigkeiten auf der Agenda bei diesen Klimakonferenzen. Bisher haben sich aber vor allem die USA und die EU immer und immer geweigert, da in irgendeiner Weise eine Zusage zu machen und für einen Funken an Gerechtigkeit zu sorgen in dieser unendlich ungerechten Krise, in der ja Menschen schon heute ihr Zuhause verlieren und zwar unwiderruflich, in einer Zeit, in der ein Drittel von Pakistan unter Wasser steht. Und das heißt bei dieser Klimakonferenz wird Loss and Damage das Thema sein. Wir fordern da explizit die Bundesregierung auf, aus ihrer Blockadehaltung rauszukommen. Und auch Olaf Scholz ist da gefragt, seine Stimme zu nutzen, damit die EU Zusagen macht, damit dieses Jahr bei dieser Klimakonferenz endlich Loss and Damage etwas werden wird, wo wir einen Anstand beweisen, ein moralisches Verständnis von dieser Klimakatastrophe.
Reimer: Ist da die geopolitische Situation möglicherweise unterstützend? Wir haben den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine. Die Bundesregierung, die Europäische Union wirbt im UN-Sicherheitsrat, in den UN-Gremien um die Stimmen der ärmeren Länder. Die wiederum haben sich bei der Verurteilung des Angriffs zum Teil auch zurückgehalten, mit Enthaltung gestimmt. Ist da deshalb die Bereitschaft größer, auf die Länder zuzugehen, insbesondere auf die afrikanischen Länder?
Neubauer: An der Stelle würde ich vor allem denken, dass die Klimakatastrophe erst einmal für sich spricht und die Klimakatastrophe genug Gründe gibt für jeden Regierungschef aus einem der G20- oder G7-Länder oder überhaupt aus einem der Länder des globalen Nordens, da Zusagen zu machen. Denn ich weiß nicht, wie man den Menschen in Uganda, auf den Philippinen, in Kenia, wie man denen in die Augen guckt, wohlwissend, dass da sozusagen die Zeit rennt und vor allem abläuft und die Katastrophen Ausmaße annehmen, auch die Hungersnöte, die Nahrungsmittelknappheiten, die Hitzewellen, die Fluten. Das können wir nicht mal mehr in Worte fassen.
Reimer: Steht da China auch in der Verantwortung? Die sind der weltgrößte Emittent. Und die Pro-Kopf-Emissionen, die sind ja also schon relevant, auch bei der Beurteilung, die sind aber in China mittlerweile so hoch wie in der Europäischen Union oder in Deutschland, so ähnlich hoch.
Neubauer: Ja, alle Staaten sind da gefragt, keine Frage, und das hängt natürlich alles zusammen. Das ist dramatisch, dass wir gerade davon ausgehen müssen, dass die globalen Spannungen es deutlich schwieriger machen, da auch mit China zu verhandeln. Es gab eine wichtige, sagen wir, eine wichtige Vereinbarung, eine Art Dialog zwischen den USA und China zu Klimaschutz. Dieser Dialog wurde jetzt auf Eis gelegt, unter anderem durch die Situation in Taiwan. Das ist eine total, ja, eine total beklemmende und spannungsgeladene Situation, die ja aber für alle anderen Staaten heißen muss, sich doppelt reinzuhängen.

"Das ist ein Energie-Theater"

Reimer: Die Klimaschutzaktivistin Elizabeth Wathuti aus Kenia hat zusammen mit Ihnen vor zwei Wochen die Antibraunkohleaktivist*innen in dem zur Abbaggerung freigegebenen Dorf Lützerath im Rheinland besucht. Mein Kollege Georg Ehring hat sie bei der Gelegenheit interviewt und sie gefragt, ob afrikanische Länder wie Mosambik aufhören sollten, für ihre eigene Entwicklung in neue Öl- und Gasfelder zu investieren. Und ihre Antwort lautete so:
"Ich persönlich komme aus Kenia und dort wird die Energie zu 80 Prozent erneuerbar erzeugt. Aber in meinem Land geht es auch darum, einen Zustand zu überwinden, in dem es überhaupt keine Energieversorgung gibt."
Elizabeth Wathuti (l), Klimaaktivistin aus Kenia, und Klimaaktivistin Luisa Neubauer von Fridays for Future sitzen während eines Pressegesprächs im Dorf Lützerath am Rande des Braunkohle-Tagebaus Garzweiler II von RWE nebeneinander.
Elizabeth Wathuti (l), Klimaaktivistin aus Kenia, und Klimaaktivistin Luisa Neubauer am Rande des Braunkohle-Tagebaus Garzweiler II (picture alliance / dpa / David Young)
Reimer: Also kein eindeutiges Nein zu der Förderung von Gas in Afrika. Können Sie das mittragen?
Neubauer: Das liegt überhaupt jetzt gerade nicht an mir, da irgendetwas mitzutragen. Was wir sehen ist, dass: Unter anderem durch die Energiekrise in Europa, rennen gerade Regierungschefs, inklusive Olaf Scholz, quer durch den afrikanischen Kontinent und wollen Länder überzeugen, neue Öl- und Gasförderung umzusetzen, mit dem Beisatz, dass ein Großteil dieser neuen Förderung für den globalen Norden, also für die Bereiche auf der Welt gelten soll, der mit Energiearmut in der Regel nicht zu kämpfen hat. Und das vor dem Hintergrund, dass wir ganz klar wissen, es kann keine neuen Öl- und Gasfelder geben irgendwo auf der Welt, wenn wir noch eine Chance haben wollen, das so wichtige 1,5-Grad-Ziel oder die Grenze einzuhalten. Das ist der Status quo.
Was wir auf der anderen Seite sehen, dass es unendlich gute und wichtige, tragfähige, belastbare Konzepte gibt, damit Länder zum Beispiel auf dem afrikanischen Kontinent mit Erneuerbaren versorgt werden können. Es gibt auch schon erste Projekte, die konkret gestartet sind. Das sind sogenannte Energiepartnerschaften, wo es darum geht, dass zum Beispiel Länder wie Deutschland mit Ländern aus zum Beispiel Subsahara-Afrika zusammen daran arbeiten, die Energiesysteme umzustellen, auf erneuerbar zu stellen und tatsächlich diese Energiearmut zu überwinden.
Reimer: Die Anlagen im Senegal sollen so gestaltet werden, dass sie aber dann auch umfunktioniert werden können, um zum Beispiel alternative Energien, Wasserstoff etc. nach Europa zu transportieren. Wenn der Senegal seine Gasförderung durch Deutschland unterstützt haben möchte, muss man das, müssen Sie das nicht eigentlich respektieren? Ich meine, das sind keine Länder, die dazu beigetragen haben, zu dem ganzen Klima-Schlamassel, in dem wir sind.
Neubauer: Deswegen halte ich mich da sehr an die Stimmen von Fridays for Future Senegal, die sich sehr deutlich und sehr ausgesprochen auch persönlich an Olaf Scholz gewandt haben, um zu sagen, das kann so nicht gehen. Was ja passiert ist, das ist ein wirkliches, ein Energie-Theater. Olaf Scholz reist in den Senegal, um der deutschen Öffentlichkeit irgendwie zu signalisieren, man würde jetzt die Energiekrise bewältigen, wohl wissend, wenn da neue Gasförderung stattfindet, dann landet Erdgas frühestens Ende der 20er Jahre, also wahrscheinlich 2028/2030 überhaupt bei uns in Deutschland. Das ist zu einem Zeitpunkt, wo wir eigentlich schon in großen Geschwindigkeiten rauskommen müssen überhaupt aus der Erdgasnutzung.
Und gleichzeitig kann jetzt ja wirklich jeder halbgare sozusagen Energiespezialist sehr gut und sehr nachvollziehbar erklären, dass diese Idee, dass man jede Erdgas-Pipeline mal so eben umstellt, dann ist es eine Wasserstoff-Pipeline, das funktioniert so überhaupt nicht. Das ist ein Märchen. Das ist ein Märchen von den fossilen Lobbys. Das ist ein Märchen von den Ländern, die es nicht wahrhaben wollen, dass das fossile Zeitalter beendet wird und genau jetzt dieser historische, dieser Menschheitsmoment gekommen ist zu sagen: Okay, we are doing it, wir gehen raus aus den fossilen Energien. Wir schützen, was wir haben an Lebensgrundlagen und wir schaffen Zugänge zu nachhaltigen, und grünen, und sicheren, und Autokratie-freien und Putin-freien Energien für die Menschen.
Reimer:   Sie müssen aber auch Mehrheiten hinter sich bringen. Und Sie haben schon, nachdem anfangs die Sympathien für die Ukraine sehr groß waren, in Deutschland Stimmen, die sagen: Ja, lieber mit Russland verhandeln, lieber zusehen, dass die Energiepreise niedriger sind. Wir müssen auch an uns denken. Was wollen Sie machen, wenn Sie keine Mehrheiten bekommen?
Neubauer: Also das Pariser Abkommen ist ja mehrheitlich demokratisch bestimmt. Es gibt auch in Deutschland klare Mehrheiten, wenn man sich jetzt Umfragen anguckt, für mehr Klimaschutz, mehr Erneuerbare, auch mehr Gelder für Erneuerbare. Also, wenn man Mehrheiten finden möchte, dann findet man die. Wenn man jeden Grund, jede Ausrede finden muss, um noch ein bisschen selbstbezogener, klimafeindlicher, Lebensgrundlage-feindlicher, Putin-freundlicher Politik zu machen, fair enough, dann findet man diese Gründe und Rechtfertigung. Aber das ist doch nicht, worum es geht. Sondern es geht doch darum loszuziehen und im Zweifel dann eben alles zu tun, um dafür zu werben, um Menschen dafür zu begeistern, dass wir uns hier in diesem Augenblick ernstnehmen und verstehen, wir haben so viel zu beschützen und so viel zu verlieren. Es ist doch nicht so schwer zu verstehen eigentlich.

Muss Fridays for Future radikaler werden?

Reimer: Ich habe mich vor diesem Interview in der Altersklasse so um die 22 bis 24 Jahre alt erkundigt. Was soll ich Luisa Neubauer fragen? Und dann habe ich von jemandem, der 2018/2019 noch mitdemonstriert hat, einschließlich Hambacher Forst, die Frage gehört: Gibt es Fridays for Future überhaupt noch? Und Tatsache ist: Die Aufmerksamkeit hat die „Letzte Generation“. Ist die Klimabewegung in einem strategischen Dilemma? Muss sie radikaler werden?
Neubauer: Na ja, also, wir sprechen uns ja einen guten Monat, nachdem wir mit einer Viertelmillion Menschen auf der Straße standen. Und Fridays for Future, unsere Forderungen an die Bundesregierung, 100 Milliarden Euro an Sondervermögen für Klimasicherheit bereitzustellen, wurde mittlerweile selbst von einer Regierungspartei anerkannt. Also, ich glaube …
Reimer: Ja, wir sprechen uns aber auch in einem Moment, wo die Letzte Generation die Schlagzeilen macht und das nicht gerade positiv.
Neubauer: Na ja, also, wenn man darüber reden möchte, wo Fridays for Future ist, dann glaube ich, kann man das gut finden.
Reimer: Wo denn?
Neubauer: Na ja, wie zum Beispiel auf der Straße vor einem Monat, wie zum Beispiel in endlos vielen Medien- und Öffentlichkeitssituation rund um unsere politischen Forderungen. Wir haben vor zehn Tagen mit Christian Lindner über unsere Forderung verhandelt bei ihm im Finanzministerium. Und gleichzeitig geht es ja in der Klimakatastrophe nicht darum, dass irgendeine Bewegung jetzt irgendwas macht und dann ist es ein Problem, wenn eine andere Bewegung mehr macht. Es ist wichtig, dass Menschen auf die Straße gehen und sich organisieren. Welchen Titel das jetzt hat, welchen Namen die Bewegung trägt, das ist ja wirklich, wirklich, wirklich irrelevant, wenn wir uns das große Ganze angucken. Das ist ja das, was wir machen. Das ist zivilgesellschaftliche Arbeitsteilung.
Reimer: Aber heißt die Konsequenz, also Straßenblockaden mit Festkleben, die sind potenziell gefährlich? Wir brauchen jetzt gar nicht von dem Fahrradunfall in Berlin reden, wo ja auch noch geklärt wird, wie die ganzen Abläufe gewesen sind, wo die Notärztin, die verantwortliche, gesagt hat: Also es lag nicht daran, dass dieses Fahrzeug nicht durchkam, sondern die Situation war eine andere, also, wo all dies noch geklärt wird. Sondern wir reden grundsätzlich davon, dass da eben auch das Beispiel von der Schwangeren im Taxi etc. betroffen sein könnte. Sind diese Straßenblockaden dann in dieser Form nicht okay?
Neubauer: Die ganzen Aktionen von der letzten Generation und auch die Proteste von Fridays for Future, die haben Sicherheitskonzepte, die sind belastbar. Das ist Standard bei jeder Aktion. Und man kollaboriert mit den Behörden. Man sagt ja auch der Polizei vorher Bescheid. Das macht auch die letzte Generation, damit die Straßen zum Beispiel gesperrt werden, damit es zu keinem Stau kommt.
Reimer: Ja, aber festkleben ist keine besonders flexible Aktion.
Neubauer: Genau. Und deswegen wird sich auch nicht in der Mitte von der Straße festgeklebt, damit eine Rettungsgasse gebildet werden kann. Was Klimabewegungen nicht machen können und was niemand gewährleisten kann, ist in sehr unsicheren Verkehrslagen, die es Innenstädten kategorisch gibt, für Sicherheit zu sorgen, die es schon davor nicht gegeben hat. Wir können feststellen, für Fahrradfahrer*innen ist es in Innenstädten in Deutschland potenziell viel gefährlicher als für Autofahrer*innen. Wir sehen, dass durch endlos viele Staus, durch nicht gebildete Rettungsgassen immer wieder brenzlige Situationen entstehen. Und das können wir, das kann auch niemand ändern. Ich finde es ehrlicherweise so ein bisschen unehrlich, jetzt so zu tun, als hätten wir neuerdings ein Problem mit irgendwie Stau in Innenstädten, die potenziell gefährlich sind. Das war schon immer der Fall.

"Zu der Protestform: Ich glaube, darüber kann man streiten"

Reimer: Aber man muss es nicht gefährlicher machen.
Neubauer: Und wenn wir jetzt darüber reden, dass es eine Situation mit der letzten Generation gab, dann freue ich mich, wenn wir jetzt eine Debatte anstoßen, in der wir mal substantiell darüber reden, wie Innenstadträume für alle sicherer geschaffen werden können. Zu der Protestform: Ich glaube, darüber kann man streiten. Was wir aber feststellen, ist natürlich das: Solange die Bundesregierung sich so sehr weigert, Klimaschutzziele einzuhalten – die neuen Berichte des eigenen Expertenrats der Bundesregierung sind niederschmetternd, das ist ein Armutszeugnis für die Regierung - solange sich da nicht substanziell was verändert, solange wir nicht sehen, dass die Bundesregierung bereit ist, ihre Zusagen einzuhalten, werden natürlich immer mehr von diesen Konflikten, die das Kabinett eben nicht austrägt, in die Gesellschaft reinverlagert.
Und das heißt: Natürlich muss man damit rechnen, dass es mehr Proteste geben wird, dass es weiter zu brenzligen Lagen kommen wird, gemessen an der Situation, in der wir sind. Und auch da denke ich, wenn wir nur halb so enthusiastisch über mögliche Maßnahmen, um uns vor der Klimakatastrophe zu schützen, sprechen würden, wie jetzt darüber diskutiert wird, welcher Protest okay ist und welcher nicht, dann wären wir schon einen großen Schritt weiter.

"Hoffnung fällt auch nicht vom Himmel"

Reimer: Bei meiner Umfrage bei den 22- bis 24-Jährigen habe ich noch eine Frage mitgeliefert bekommen. Sie befassen sich ja jeden Tag mit so einem, ja, eher düsteren Thema wie Klimaerwärmung, Klimaerhitzung und Sie laufen häufig gegen Wände. Wie kommen Sie seelisch damit klar?
Neubauer: Ich habe das große Privileg zu wissen, dass ich alles tue, was ich tun kann, um in einer ganz entscheidenden Zeit in der Geschichte der Menschen vielleicht uns vor richtig schlimmen Katastrophen zu schützen. Und das ist ein unglaublich wichtiges Gefühl. Und ich bin umgeben von Menschen, die das ebenfalls tun, im Kleinen und im Großen, wie sie es auch immer können. Und ich muss keinen Tag damit verbringen, mir einzureden, dass ich keinen Unterschied machen kann, oder dass alles nicht so schlimm ist. Und in dem Sinne kann ich der Wirklichkeit, glaube ich, sehr ehrlich ins Gesicht gucken. Und das ist – soweit ich es sagen kann – ein unendlich befreiendes Gefühl.
Reimer: Aber Hoffnung verbreiten Sie jetzt mit dieser Aussage nicht.
Neubauer: Ich hoffe, dass die Menschen auf den Straßen, und dass die Menschen, die loslegen für Leute, die noch Hoffnung suchen, Hoffnung genug ist. Aber an der Stelle kann ich auch sagen, Hoffnung fällt auch nicht vom Himmel. Hoffnung kann man sich nicht vor die Tür bestellen lassen, sondern Hoffnung ist harte Arbeit. Hoffnung heißt loslegen. Hoffnung heißt mitanpacken. Und dann geht es von alleine. Und ehrlicherweise, wenn ich das noch sagen kann, viel wichtiger als die Hoffnung in meinen Augen ist das Wissen, dass es ja anders geht, dass wir rauskommen können aus diesem fossilen Status quo. Und dann der Mut, den wir dann brauchen, um richtig loszulegen. Und dann kommt die Hoffnung oder sie kommt auch nicht. Solange wir was tun, ist schon das Wichtigste erreicht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.