Donnerstag, 25. April 2024

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Maßnahmen gegen Corona
Bartsch (Linke): Politik muss längerfristig agieren

Es fehle aktuell nicht an Rechtsgrundlagen für Maßnahmen gegen das Coronavirus, sagte der Fraktionschef der Linken, Dietmar Bartsch, im Dlf. Langfristige Maßnahmen wie Luftfilter für Schulen oder eine Verbesserung der Situation in der Pflege würden hingegen politisch vernachlässigt.

Dietmar Bartsch im Gespräch mit Dirk Müller | 27.12.2021
Eine Mitarbeiterin legt Schutzkleidung an, um auf einer Intensivstation ein Zimmer mit Corona-Patienten zu betreten.
Die Politik müsse dafür sorgen, dass genug Pflegepersonal da ist, sagte Dietmar Bartsch im Interview (picture alliance/dpa | Oliver Dietze)
Die Inzidenzzahlen der Corona-Pandemie sind seit Tagen in Deutschland rückläufig, Experten warnen angesichts der sich rasch ausbreitenden Omikron-Variante allerdings, dass sich dieser Trend schnell und drastisch umkehren könnte. Denn Omikron ist deutlich ansteckender als die aktuell dominierende Delta-Variante.
Der Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Dietmar Bartsch, hält die gesetzlichen Grundlagen für die Gegenmaßnahmen aktuell für ausreichend. Faktisch gebe es einen "Lockdown light", den Ländern und Kommunen stünden die nötigen Gegenmaßnahmen zur Verfügung.
Es brauche allerdings endlich eine längerfristige Strategie. Derzeit pendele Deutschland zwischen Entspannung und Infektionswelle, daraus müsse man ausbrechen. Es brauche dazu ein Handeln bei längerfristigen Themen: Die Regierung müsse unter anderem die Lage des Pflegepersonals verbessern und endlich für Luftfilter an Schulen sorgen.

Impfpflicht? "Erstmal müssen wir ein Impfrecht durchsetzen"

Ganz zentral sei momentan die Impfkampagne, eine Impfpflicht stehe da allerdings noch nicht an. Zunächst müsse die Politik dafür sorgen, dass jeder zügig Zugang zur Impfung bekomme. Nach den Feiertagen werde es einen Ansturm auf die Arztpraxen geben, in ländlichen Regionen und auch in Berlin müsse man teilweise Wochen auf einen Termin warten. Es mangele primär an der Logistik für die Impfkampagne.

Mehr zur Impfkampagne:

Gegenüber einer Impfpflicht habe er eine "gewisse Zurückhaltung", sagte Bartsch. Er werde sich Anträge dazu genau angucken, denn es komme auch auf die genaue Ausgestaltung an. Man müsse beispielsweise klären, ob eine Zweitimpfung ausreiche und wie lange der Schutz anerkannt werde. Dringend müsse vermieden werden, dass der Bundestag eine Impfpflicht erlässt und diese dann vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand hat.

"Wir haben eine solidarische Krankenversicherung"

Den Vorschlag des bayerischen Gesundheitsministers Klaus Holetschek (CSU), Ungeimpfte mit höheren Krankenkassenbeiträgen zu belegen, lehnt Bartsch klar ab. "Wir haben eine solidarische Krankenversicherung", betonte Bartsch. Auch Raucher oder Skifahrer setzten sich einem hohen gesundheitlichen Risiko aus, trotzdem müssten sie keine erhöhten Beiträge zahlen. Dieses Prinzip dürfe man nicht aufgeben.
Linke-Co-Vorsitzender Dietmar Bartsch bei einem Statement im Vorfeld der Fraktionssitzung Die Linke Bundestagsfraktion im Reichstagsgebäude am 22.06.2021
Linke-Co-Kandidat und Co-vorsitzender, Dietmar Bartsch (dpa / Flashpic / Jens Krick)

Das Interview im Wortlaut:

Dirk Müller: Sind die Restriktionen restriktiv genug?
Dietmar Bartsch: Ich glaube, dass wir die Frage, schärfer, noch schärfer, am schärfsten, so nicht stellen sollten. Ich finde, die gesetzlichen Grundlagen, die es gibt, sind ausreichend und wir müssen uns die konkreten Entwicklungen anschauen. Ich werbe ausdrücklich dafür, dass wir endlich einmal längerfristig agieren. Ich kann mich noch sehr gut an den Jahreswechsel vor einem Jahr erinnern, wo die damalige Bundeskanzlerin gesagt hat, noch einmal Einschränkungen und dann wird alles gut. Jetzt kommen wir in einen Rhythmus Entspannung/Infektionswelle, Entspannung/Infektionswelle. Das müssen wir verändern. Die Maßnahmen jetzt sind wieder hart. Es gibt faktisch einen Lockdown light. Wenn die Ministerpräsidenten, die Landräte und Oberbürgermeister die Dinge anwenden, die möglich sind, dann haben wir zunächst mal dafür eine ausreichende Grundlage.
Ich werbe allerdings ausdrücklich auch dafür, dass die Dinge, über die jetzt wieder weniger geredet wird, dass darüber gesprochen und gehandelt wird, Pflegepersonal zum Beispiel, Luftfilter in Schulen und so weiter. Da gibt es eine Vielzahl von Dingen, wo Regierungshandeln dringend notwendig ist.
Müller: Ich hatte Sie in der vergangenen Woche noch etwas anders verstanden. Da haben Sie, glaube ich, gesagt, die jüngsten Beschlüsse kommen viel zu spät. Sehen Sie das jetzt nach ein paar Tagen etwas anders?
Bartsch: Nein! Wissen Sie, das ist kein Widerspruch. Ich habe kritisiert, dass die Ampel zu Beginn ihres Agierens als erstes die epidemische Lage von nationaler Tragweite aufgehoben hat. Der Justizminister hat sogar davon gesprochen, dass ein Freedom Day naht und der im März stattfinden wird.

"Erst mal müssen wir ein Impfrecht durchsetzen"

Müller: Das hat er aber ein paar Wochen vor der Ampel-Koalition gesagt.
Bartsch: Wissen Sie, das waren aber die ersten Handlungen, und jetzt wird auch aus der Ampel darüber geredet, dass man vielleicht die epidemische Lage von nationaler Tragweite wieder ausrufen muss. – Ich bin dagegen, dass Politik hier in den Panikmodus verfällt. Dass geimpft werden muss, das ist und bleibt die zentrale Frage, und ich finde es auch gut, wenn jetzt dieses Ziel 30 Millionen Impfungen erreicht wird. Das ist die Frage, um die wir uns kümmern müssen, aber auch da gilt, erst mal müssen wir ein Impfrecht durchsetzen. Im Moment kriegen Sie doch gar keine Impftermine, wer geboostert werden will. Das ist doch die Situation und wir werden jetzt nach Weihnachten am Anfang des Jahres einen Ansturm auf die Arztpraxen haben. Das sind die Dinge, wo gehandelt werden muss.
Müller: Wie kommen Sie darauf, Herr Bartsch? Da haben wir hier andere Erfahrungen gemacht. Im Kölner Raum, Bonner Raum, Düsseldorfer Raum, wo man selbst ein bisschen vernetzt ist und agiert, geht das schon mit einigen Tagen.
Bartsch: Das ist auf jeden Fall in der Hauptstadt Berlin anders. Wenn Sie dort einen Impftermin bekommen wollen und das ganz regulär machen, dann bekommen Sie den unter Umständen Mitte Januar. In den ländlichen Regionen, in meiner Heimat in Mecklenburg-Vorpommern ist das auch nicht so ganz leicht. Im Moment wäre es erst mal wichtig, ein Impfrecht durchzusetzen, und diejenigen, die geimpft werden wollen, dass die das dann auch möglichst zeitnah können.
Müller: Liegt das am Impfstoff oder am Impfangebot, an der mangelnden Logistik?
Bartsch: Das liegt meines Erachtens an der mangelnden Logistik. Da ist es gut, dass es jetzt diesen Krisenstab gibt. Und ich sage es noch mal: Glückwunsch an all diejenigen, die impfen, die Ärzte, all die Menschen, die das möglich machen, dass die 30 Millionen erreicht worden sind. Dass jetzt das andere Ziel der 80 Prozent nicht erreicht worden ist, nun gut. Ich glaube nicht, dass man immer mit Prozentzahlen neue Anreize schafft. Für den einen oder anderen mag das ja eine sportliche Herausforderung sein. Aber die Logistik bereitzustellen, ausreichend Impfstoff, das kann ich gar nicht einschätzen. Ich höre nur unterschiedliche Signale. Erst höre ich von Herrn Lauterbach, es ist nicht genügend Impfstoff da. Dann höre ich, Herr Lauterbach zählt selbst. Nun ja! Ich möchte bitte weg vom Panikmodus, langfristig, dass wir nicht nächstes Weihnachten wieder eine ähnliche Diskussion führen und wir beide ein Interview machen.

Bartsch: Möchte Details zur Impfpflicht sehen

Müller: Das werden wir vielleicht dann zu einem anderen Thema machen. Ich bin froh, dass Sie heute Morgen hier für uns zur Verfügung stehen. Vielen Dank noch mal dafür. – Herr Bartsch, jetzt bringen Sie ein anderes Stichwort rein: Impfrecht. Ich hatte mir notiert Impfpflicht. Impfpflicht, allgemeine Impfverpflichtung ist für Sie kein Thema, machen Sie mit?
Bartsch: Da möchte ich gerne sehen, was konkret vorgeschlagen wird. Ich sehe und höre auch die vielen, vielen Unsicherheiten. Was heißt denn Impfpflicht? Wie lange gilt sie? Ist die dann auch nach den sechs Monaten vorhanden? Ist das eine dauerhafte Impfpflicht? Da möchte ich gerne wirklich sehen, was wird konkret vorgelegt. Ich als jemand, der dreimal geimpft ist, der ausdrücklich für das Impfen wirbt, habe dort eine gewisse Zurückhaltung, denn ich erinnere mich sehr gut, wie alle gesagt haben, eine Impfpflicht wird es nicht geben. Jetzt wird es eine geben. Ich frage mich welche und das möchte ich wissen. Ich möchte nicht ja oder nein. Das kenne ich aus meiner persönlichen Geschichte. Sondern ich möchte konkret mir anschauen, was passiert dort. Aber erst mal möchte ich, dass all die Dinge, die damit verbunden sind, dass das nicht eine Ablenkungsdebatte wird. Wenn irgendwer glaubt, mit einer Impfpflicht haben wir das Virus besiegt, dann nur zu, aber das wird nicht der Fall sein.
Müller: Sie haben noch keinen Antrag im Bundestag gesehen oder kennengelernt - wir haben das auch nicht; es ist sehr schwierig, das nachzuvollziehen -, der Ihrer Haltung entspricht, wo Sie sagen, Impfpflicht mache ich mit, wenn die Konditionen eins, zwei und drei geklärt sind?
Bartsch: Bisher kenne ich einen solchen Antrag nicht. Ich bin sehr gespannt, was dort die Ampel-Koalition oder, wenn es Gruppenanträge gibt, vorlegen wird. Aber ich finde, eine Reduzierung nur auf die Frage Impfpflicht ja oder nein, die ist viel zu kurz gegriffen. Schauen Sie, wir haben beschlossen die einrichtungsbezogene Impfpflicht im Deutschen Bundestag. Jetzt stellen sich plötzlich Fragen, die bei diesem Beschluss offensichtlich nicht beachtet worden sind. Was passiert denn nach dem März? Gelten denn sechs Monate, neun Monate, bis eine Auffrischung notwendig ist? Gilt die Zweitimpfung? Viele Dinge sind schlicht unklar und ich glaube, dass wir das nicht zulassen dürfen, denn das schlimmste was passieren kann ist, es gibt eine Impfpflicht, die in irgendeiner Weise beschlossen wird, und danach wird das vom Verfassungsgericht aufgehoben, weil rechtlich nicht zu Ende gedacht. Deswegen: Solidität muss dort sein und vor allen Dingen müssen die zentralen Fragen geklärt werden. Das ist bisher meines Erachtens nicht der Fall.

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Müller: Jetzt könnten Sie auch einen Antrag formulieren, der Ihren Kriterien entspricht.
Bartsch: Ich glaube nicht, dass das die Aufgabe der kleinsten Oppositionspartei im Deutschen Bundestag ist, jetzt hier einen Antrag vorzulegen.
Müller: Der Fraktionszwang ist ja immerhin aufgehoben. Das heißt, jeder hat die Möglichkeit und kann Überzeugungsarbeit leisten.
Bartsch: Ja, das kann jeder. Da bin ich auch sehr dafür. Ich freue mich auf eine Debatte, die wir führen werden. Ich wünsche mir, dass die nachvollziehbar für die Menschen ist. Dann ist es hoffentlich so, Fraktionszwänge gibt es sowieso nur immer formal. Es ist eine Entscheidung wie bei der Sterbehilfe, wo es das gar nicht geben kann. Dann wird auch über die Impfpflicht im Konkreten entschieden werden. Das ist doch ganz klar. Ich höre immer Ankündigungen in der ersten Woche; da bin ich mal gespannt, wie dann die Debatte sein wird, ob es dort Anträge gibt. Denn ohne brauchen wir keine Debatte führen. Ich habe jetzt von den Sozialdemokraten gehört, in der ersten Woche wird etwas vorgelegt. Ich bin gespannt.
Müller: In der ersten Parlamentswoche? Das ist die zweite Januarwoche.
Bartsch: In der ersten Parlamentswoche, ja, ja. Das ist ein ambitioniertes Ziel. Es gibt jetzt immer wieder neue Ziele. Das ist ja offensichtlich ein neuer Stil der Ampel. Den kann man gut oder schlecht finden, dass immer mit Daten konkrete Zahlen genannt werden. Ich bin gespannt, was in der ersten Parlamentswoche vorgelegt wird.

Bartsch: Ungeimpfte bei Krankenkassenbeiträgen nicht benachteiligen

Müller: Reden wir, Herr Bartsch, noch über den Vorschlag von Klaus Holetschek. Der hat gesagt, mehr finanzielle Beteiligung der Ungeimpften an den Gesundheitskosten. Das hört sich gerecht an für diejenigen, die sich weigern und dann hinterher teuer werden.
Bartsch: Ich teile diesen Vorschlag ausdrücklich nicht, denn wenn wir das machen – wir haben eine solidarische Krankenversicherung und wir können nicht mit Dingen wie „Du wirst bestraft dafür“ handeln. Denn das ist dann eine Tür, die aufgemacht wird und die für alle gilt. Sind diejenigen, die dann Skilaufen, auch mit einem höheren Bonus? Sind diejenigen, die rauchen, die übergewichtig sind, und so weiter? Das geht so meines Erachtens überhaupt nicht. Ich glaube auch, dass der Vorschlag vom bayerischen Gesundheitsminister keine Chance haben wird.
Müller: Denken Sie gar nicht darüber nach? Das heißt, wenn jemand wissentlich die Gesundheitskosten in die Höhe treibt – das sind ja horrende Summen, die da ausgegeben werden zur Behandlung auf den Intensivstationen, die die Allgemeinheit tragen muss, weil die individuelle Freiheit so weit geht zu sagen, ich lasse mich nicht impfen, und dann liege ich auf der Intensivstation.
Bartsch: Sagen Sie das der Raucherin und dem Raucher auch? Sagen Sie das demjenigen, der ungesund sich ernährt, auch?
Müller: Sagen Sie das denen nicht?
Bartsch: Ja, natürlich sage ich dem das. Ich sage auch, dass er möglichst nicht rauchen soll. Das ist doch wahr! Aber ich kann ihm das nicht verbieten und ähnlich ist das bei anderen Dingen. Wenn wir dieses Prinzip der solidarischen Krankenversicherung aufkündigen wollen – und es ist nichts anderes – Sie machen eine Tür auf und es ist Ende des Systems. Seit 100 Jahren hat sich das bewährt und ich werbe dafür, dass wir dieses System stabilisieren und dass wir trotzdem für Impfen werben. Wir haben lange noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Es wird jetzt einen neuen Impfstoff geben, den viele herbeigesehnt haben. Das ist vielleicht für manch einen auch die Chance, endlich von dieser Haltung wegzukommen. Wir müssen alles tun, dass die Menschen Ja sagen zum Impfen. Ich war für eine Impfpflicht bei Masern, bin jetzt skeptisch, aber sage, alle Möglichkeiten ausschöpfen, und vor allen Dingen werbe ich dafür, dass wir die anderen Dinge nicht vergessen. Die Gesundheit, der soziale Schutz, das muss vorne anstehen, dass wir wirklich dafür sorgen, dass das Pflegepersonal da ist und die vielen anderen Punkte. Das kommt mir im Moment viel zu kurz.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.