Montag, 13. Mai 2024

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Journalist Alexander Roth
Wie sich die Querdenker-Szene bei Telegram radikalisiert

Der Journalist Alexander Roth beobachtet, wie sich Querdenker und Impfgegner auf dem Messengerdienst Telegram radikalisieren. Beim harten Kern der Szene herrsche der Glaube vor, dass die Corona-Impfung zum Tod führe, sagte Roth im Dlf. Zum Teil werde offen über Gewalt als Gegenwehr diskutiert.

Alexander Roth im Gespräch mit Thielko Grieß | 04.12.2021
Ein Schild mit der Aufschrift "Ich will keine Impfung" wird an einem Stock hochgehalten.
Protest gegen die Corona-Impfung: Die Diskussion über die Impfpflicht hat nach Einschätzung von Alexander Roth die Radikalisierung der Coronaleugner-Szene befördert (picture alliance/dpa/Sebastian Kahnert)
Seit anderthalb Jahren beobachtet der Journalist Alexander Roth die Querdenker-Szene und hat dabei vor allem den Messengerdienst Telegram im Blick. Ihm gehe es vor allem darum, die Köpfe hinter der Querdenker-Szene zu recherchieren und zu berichten, was sie im Verborgenen machen.

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Impfpflicht als Radikalisierungs-Treiber
Die Diskussion über eine allgemeine Impfpflicht sei ein entscheidender Punkt bei der Radikalisierung. Wer sich jetzt noch auf Telegram in den Querdenken-Gruppen befinde, der habe eine klare Haltung zur Impfung: "Entweder, dass die Impfung sehr, sehr schadet und dann auf lange Sicht zum Tode führt oder direkt zum Tod führt."

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Es existiere eine ganz große Angst vor der "Todesspritze", der die Menschen aus der Szene unterschiedlich begegneten. "Einige wandern aus, andere diskutieren ganz offen über Gewalt als Maßnahme und wieder andere melden sich krank und wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen." 
Man müsse aber immer unterscheiden zwischen Ungeimpften und Querdenkern, betonte Roth: "Nicht jeder, der sich nicht impfen lässt, ist automatisch Teil der Querdenker. Das ist wirklich eine radikale Minderheit mit geschlossenem verschwörungsideologischem Weltbild." Diese nehme die mediale Debatte über die Impfpflicht nur noch in Schlagzeilen wahr und informiere sich über ganz andere Quellen, so Roth.
Sogenannte Querdenker ziehen in einem Protestmarsch aus der Innenstadt zum Veranstaltungsgelände auf dem Kirmesplatz und tragen dabei ein Plakat mit der Aufschrift „Freie Impfentscheidung. Keine Kinderimpfung. Keine digitalen Impfpässe. Volle Grundrechte für alle“. Laut Polizeiangaben zählt die Demonstration gegen die Corona-Schutzmaßnahmen 500 Teilnehmer.
Man müsse immer unterscheiden zwischen Ungeimpften und Querdenkern. "Nicht jeder, der sich nicht impfen lässt, ist automatisch Teil der Querdenker", sagt Roth. (pa/dpa/Jonas Güttler)
Das Interview im Wortlaut
Thielko Grieß: Es gibt in Deutschland reichlich Menschen, die glauben, eine Impfung gegen Corona bedeute für sie den Tod. Es gibt Beobachter, die meinen, es finde eine Radikalisierung statt, gerade in den letzten Tagen und Wochen, vor allem im Netz, vor allem im Messenger-Dienst Telegram, für den laxere Gesetze gelten als etwa für Facebook. Was los ist bei diesen Telegram-Gruppen, das weiß Alexander Roth. Er ist Journalist, Rechercheur, stellvertretender Leiter der Onlineredaktion beim Zeitungsverlag Waiblingen, Bevor wir zu Ihren Beobachtungen kommen, die Sie gemacht haben, sagen Sie uns kurz vielleicht ein paar Sätze darüber, wie Sie arbeiten. Was lesen Sie, was recherchieren Sie über zum Beispiel Querdenker?
Alexander Roth: Also ich recherchiere seit anderthalb Jahren zur Querdenker-Szene, lese dort vor allem Telegram-Kanäle aus dem Rems-Murr-Kreis und der Region Stuttgart, aber auch deutschlandweite Kanäle, und mein Hauptinteresse dabei ist eben, Netzwerke aufzudecken und die Köpfe hinter der Bewegung zu recherchieren und deren Vergangenheit teilweise aufzudecken und was die eben vielleicht im Verborgenen machen.

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Vermehrt Anschläge und Angriffe

Grieß: Und Sie haben geschrieben bei Ihnen in der Zeitung, aber auch zum Beispiel auf Twitter, dass Sie nun in den vergangenen Tagen, in den vergangenen Wochen eine immer stärkere Radikalisierung feststellen. Woran machen Sie diese Radikalisierung fest?
Roth: Ich mache das an zwei Sachen fest, zum einen vor allem an dem, was ich in den Telegram-Kanälen beobachte, wo wirklich direkte Aufrufe zu Gewalt mittlerweile geteilt werden, Tötungsfantasien geteilt werden, die sich auch gegen konkrete Personen richten, und zum anderen mache ich das daran fest, dass es auch vermehrt meiner Wahrnehmung nach Anschläge gibt auf Impfzentren oder gescheiterte Anschläge auf Impfzentren, es gibt Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten schon sehr lange, es gibt Angriffe auf Impfteams, Beleidigungen in Notaufnahmen. Da hat sich meiner Meinung nach etwas verändert, auch gerade durch die vierte Welle, die Zuspitzung der Lage und eben auch die schärferen Maßnahmen.
Grieß: Lässt sich denn, wenn so ein Anschlag geschieht oder solche Dinge tatsächlich ins reale Leben umgesetzt werden, lässt sich dann zurückverfolgen, dass so etwas vorgedacht wurde, zum Beispiel in Telegram-Gruppen?
Roth: Das ist natürlich vor allem erst mal Aufgabe der Ermittlungsbehörden. Mir wäre jetzt kein Fall bekannt, wo es eine konkrete Ankündigung gab in einer Telegram-Gruppe. Aber es ist natürlich so, dass durch diese andauernde Wiederholung von Gewaltaufrufen und dieser gewalttätigen Stimmung auch Leute natürlich vielleicht inspiriert werden dazu, solche Taten auch umzusetzen.

"Wir wurden bedroht, dass wir eben wieder aufs Maul bekommen"

Grieß: Gibt es oder gab es Anschläge, gab es Gewalttaten bei Ihnen in der, ich sage mal, in der größer verstandenen Stuttgarter Region?
Roth: Es gab zum Beispiel am 3. April in Stuttgart bei einer sehr großen Querdenker-Demonstration einen Angriff auf den Dortmunder Journalisten David Peters, der von einem Demo-Teilnehmer ins Gesicht geschlagen wurde, ich stand direkt daneben, habe das gefilmt. Wir wurden bedroht, dass wir eben wieder aufs Maul bekommen, wenn wir uns nicht entfernen. Das ist zum Beispiel einer der Vorfälle, der mir da im Kopf ist. Ansonsten hat es uns bisher, was zum Beispiel Anschläge auf Impfzentren angeht, meiner Meinung nach noch nicht erwischt.
Demonstration von "Querdenken 711" in Stuttgart am Karsamstag. Vor der Demo sind Polizeifahrzeuge zu sehen.
Demonstration von "Querdenken 711" in Stuttgart am 3. April (IMAGO / Nicolaj Zownir)
Grieß: Also damit meinen Sie dann aber eher andere Regionen?
Roth: Genau. Wir hatten zuletzt in Wiesbaden zum Beispiel einen Fall, wo, ich meine, am Donnerstag ein Impfzentrum gebrannt hat und dort auch Querdenker-Infomaterial gefunden wurde laut Polizei und Medienberichten und dort eben auch analysiert wird, ob das möglicherweise aus dieser Szene heraus ein Brandanschlag war.

Lieber der Tod als die Impfung

Grieß: Die Menschen, die in diesen Telegram-Gruppen aktiv sind, sich dort unterhalten, dort kommunizieren, das letzte, was die wollen, ist ja, geimpft zu werden oder sich impfen zu lassen. Nun sozusagen droht, in Anführungszeichen, diesen Menschen eine Impfpflicht, denn das ist das, was diskutiert wird zurzeit in der Politik, und es gibt sehr, sehr viele Stimmen dafür. Seit das jetzt sozusagen diese Dynamik gewonnen hat, die Diskussion über die Impfpflicht, wie beobachten Sie das, wie spiegelt sich das wider in den Diskursen, die Sie beobachten?
Roth: Das ist meiner Wahrnehmung nach ein entscheidender Punkt bei dieser Radikalisierung. Also wir müssen uns vorstellen: Der radikale Kern, der sich jetzt noch auf Telegram rumtreibt in der Querdenker-Szene, der hat eine ganz klare Meinung zur Impfung, und nicht nur eine Meinung, sondern auch den festen Glauben daran, dass diese Impfung entweder sehr, sehr schadet und dann auf lange Sicht zum Tod führt oder direkt zum Tod führt, eine Art Todesspritze sei. Und wir erleben jetzt gerade ganz, ganz viel, dass Leute sich dahingehend äußern, dass wenn jemand kommen sollte, um sie zu impfen, sie lieber sterben würden, und die Leute, die eben bei denen vor der Haustür klingeln, so wie sie das eben wahrnehmen – die reden eher von einem Impfzwang, der ja gar nicht zur Debatte steht –, dann auch damit rechnen müssen, dass sie sterben, also bereit sein müssen zu sterben. Und da ist so eine ganz, ganz große Angst, dem die Leute auf verschiedenem Wege versuchen, eben Herr zu werden. Einige denken jetzt darüber nach, auszuwandern oder haben das schon gemacht oder sich sonst irgendwie zu entziehen, andere, ja, diskutieren jetzt eben ganz offen über Gewalt als Maßnahme, und wieder andere sind völlig ratlos, melden sich krank, wissen nicht genau, wie sie damit umgehen soll.

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Grieß: Wie ist es bei Ihnen in der Stuttgarter Region oder auch in Waiblingen oder im Rems-Murr-Kreis? Wie reagieren Polizei und Behörden?
Roth: Das hat sich zumindest gewandelt. Also wir hatten gerade diese Demo, die ich auch angesprochen hatte, im April, die ist noch relativ frei gelaufen, das war eine sehr, sehr große Demo, die auch in der Szene als Erfolg galt. Seitdem sind die Demonstrationen stärker eingeschränkt worden. Es gab keine so riesige Demonstration mehr. Also da hat man reagiert darauf und auch auf die Diskussion darüber, ob das jetzt angebracht war. Wenn ich Hinweise weitergebe, was ab und zu geschieht im Zuge der Recherchen, werden die auch wahrgenommen. Was dann am Ende dabei herauskommt, ist schwierig zu begutachten, aber es ist auf jeden Fall so, dass die Gerichte damit gerade sehr viel zu tun haben.

"Radikale Minderheit mit geschlossenem verschwörungsideologischen Weltbild"

Grieß: Es gibt in der Diskussion über die Impfpflicht auch die These: Wenn man nun eine Impfpflicht tatsächlich beschließt, dann hat man vielleicht auch eine Chance als Gesellschaft, nämlich diesen Konflikt auf eine Art zu befrieden, nämlich auf die Art und Weise, dass das Problem kein moralisches mehr ist, ich also jemanden moralisch sozusagen verurteilen kann dafür, dass er sich impft oder nicht impft, sondern es wird daraus ein rechtliches Problem, und die seien leichter zu lösen, und damit könne man … Da wird dann verwiesen zum Beispiel auf die Diskussion um die Gurtpflicht vor vielen Jahrzehnten, als die eingeführt wurde, damals endete dann die Diskussion über die Gurtpflicht relativ schnell, als es sie dann gab. Nehmen Sie solche Tendenzen, die in eine, ja, vielleicht etwas hellere Zukunft führen, auch wahr?
Roth: Ich sage mal so, wir müssen ja immer unterscheiden zwischen Ungeimpften und Querdenkern. Nicht jeder, der sich nicht impfen lässt, ist automatisch Teil der Querdenker-Szene. Das ist wirklich eine Minderheit, eine radikale Minderheit mit geschlossenem verschwörungsideologischen Weltbild, die solche Feinheiten, glaube ich, nicht mehr wahrnimmt, ich sehe zumindest nichts, was dafür sprechen würde, und die auch die mediale Debatte wirklich nur noch in Schlagzeilen wahrnimmt und ganz andere Quellen hat, um sich zu informieren. Also die gehen ja tatsächlich davon aus, dass sie sterben sollen, dass das eine gezielte Tötung der Ungeimpften wäre, sie zu impfen. Und ich glaube, da kommen wir dann mit dieser Unterscheidung zwischen moralisch und rechtlich auch nicht an diese Leute ran.
Grieß: Die Leute, die Sie online beobachten, treffen Sie die auch im echten Leben auf der Straße, als Journalist?
Roth: Das ist immer schwer zu sagen. Also ja, ich treffe sie auch in meinem redaktionellen Alltag, teilweise stehen sie auch hier vor dem Verlag und drehen mal ein Video oder kamen auch schon unter einem Vorwand in den Verlag rein. Es ist nicht immer klar zu sehen, wer natürlich hinter diesen Pseudonymen auf Telegram tatsächlich steckt. Von daher kann ich das schwer beurteilen. Aber ja, ich habe auch Kontakt zur Querdenker-Szene im realen Leben sozusagen.

Drohungen und viel Solidarität

Grieß: Und Sie sind, das habe ich richtig verstanden, auch schon bedroht worden?
Roth: Genau, das auch mehrfach und eben auch indirekte Einschüchterungsversuche, teilweise offene Drohungen. Wir mussten auch einen Fall zur Anzeige bringen, wo es dann wirklich darum ging, ich zitiere mal, die Szene braucht einen Märtyrer, ohne eine Kugel im Kopf wird nichts passieren. Das ist in einer Unterhaltung gefallen, in der es auch um meine Person ging. Ja, das sind dann die Härtefälle.
Grieß: Was ist aus der Anzeige geworden?
Roth: Bislang meiner Kenntnis nichts.
Grieß: Sind die Drohungen gegen Sie auch extremer geworden?
Roth: Das schwankt. Es kommt zum Teil einfach darauf an, was ich gerade an Beiträgen veröffentliche, ob das überhaupt noch wahrgenommen wird, weil wie ich bereits angedeutet habe, die lesen ja oft auch gar keine etablierten Medien mehr. Das kann man auf jeden Fall nicht an der Zuspitzung der Corona-Lage irgendwie festmachen, das hat andere Schwankungsgründe.
Grieß: Wie gehen Sie mit den Drohungen um?
Roth: Sehr, sehr offen, so wie jetzt auch. Also ich glaube, die Flucht nach vorne, darüber reden ist sehr, sehr wichtig, und ich ermuntere auch immer Kolleginnen und Kollegen, das auch zu tun, weil ich der festen Überzeugung bin, dass die ganz, ganz große Mehrheit der Gesellschaft auf der Seite der Bedrohten und Betroffenen ist und da auch Solidarität sichtbar wird, die man nicht sehen würde, wenn man das für sich behalten würde, und auch um zu zeigen, dass ich mich da nicht von meinem Job abhalten lassen werde.
Grieß: Erleben Sie Solidarität?
Roth: Sehr, sehr viel, ja. Mich erreichen immer wieder Nachrichten von Kolleginnen und Kollegen, aber auch von Privatpersonen, die jetzt zum Beispiel einen Radiobeitrag, einen Fernsehbeitrag sehen, in dem das thematisiert wurde, oder meine Artikel lesen. Das erlebe ich sehr, sehr viel.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.