KI und Werte
Die Verbesserung der Welt durch die Hintertür der Technik
Von Roberto Simanowski
Künstliche Intelligenz lernt nicht nur Sprache, sondern auch Weltbilder. Zwischen „woken“ Maschinen, westlichem Werteexport und rechter Gegenwehr entbrennt ein Kulturkampf um die Frage: Wer bestimmt, was eine gerechte, neutrale KI ist?
Die Maschine ist höflich, hilfsbereit - und nicht neutral. Was wie ein technisches Detail anmutet, entpuppt sich als ideologischer Brennpunkt: Die Frage, welchen Werten KI-Sprachmodelle verpflichtet sein sollen oder verdeckterweise schon sind, führt mitten hinein in einen globalen Konflikt um Macht, Moral und kulturelle Deutungshoheit.
In einer Zeit, in der Konzerne wie OpenAI oder Meta sich bemühen, ihre Systeme „weniger links-liberal“ erscheinen zu lassen, wird deutlich: Künstliche Intelligenz ist nicht nur Werkzeug, sondern auch Weltbild - trainiert auf Sprachkorpora, gefiltert nach Wertmaßstäben, kuratiert von Entwicklerinnen und Entwicklern mit impliziten Haltungen.
Doch wessen Werte sollen zählen? Die Sorge vor einem westlich geprägten digitalen Kulturimperialismus trifft auf eine laute Reaktion aus den USA selbst: Rechte Stimmen werfen ChatGPT „Wokeness“ vor, sprechen von Zensur und Meinungslenkung, während Kritiker im globalen Süden die subtile Reproduktion westlicher Normen in KI-Systemen anprangern.
Zwischen algorithmischer Feinjustierung und gesellschaftlicher Fundamentaldebatte zeigt sich: Der Streit um KI ist längst ein Stellvertreterdiskurs über unsere Vorstellung von Gerechtigkeit, Freiheit und Zukunft. Technik wird zur Bühne - und zur Hintertür, durch die sich Weltverbesserung ebenso wie Weltanschauung schleichen kann.
Roberto Simanowski, geboren 1963, lebt nach Professuren für Kultur- und Medienwissenschaft in den USA, der Schweiz und Hongkong als Publizist in Berlin und Rio de Janeiro. Zu Simanowskis Büchern gehören Data Love (2014/engl. 2018), Facebook-Gesellschaft (2016/engl. 2018) und Abfall. Das alternative ABC der neuen Medien (2017, engl. 2018). Sein Buch Todesalgorithmus. Das Dilemma der künstlichen Intelligenz erhielt den Tractatus-Preis für philosophische Essayistik 2020.