Abfall von allen
Die Stadt, der Müll und die Moral
Von Henriette Hufgard
Müll ist mehr als nur Abfall - er spiegelt gesellschaftliche Ungleichheiten wider. Wer verursacht Müll, wer trägt die Verantwortung? Während Reiche ihre Abfälle unsichtbar machen, kämpfen benachteiligte Stadtteile mit stigmatisierter Verschmutzung.
Müll ist lästig, manchmal gefährlich - vor allem aber wird er stetig mehr. Aber wie wird eine Sache eigentlich zu Müll? Und was hat Müll mit Geld und Moral zu tun? Er ist uns nah und unglaublich fern zugleich: Beim Ablecken des Joghurt-Deckels und beim Mülltrennen beherrschen wir ihn noch. Aber spätestens, wenn es um Endlager für Atommüll geht, verwandelt er sich in etwas Bizarres, Unbegreifliches.
Während Recycling nach praktischen Antworten auf die Probleme der Wegwerfgesellschaft sucht, verhärten sich im Zwischenmenschlichen die Fronten: Müll wird zu einer Frage der Moral. Müll-Sheriffs und Waste-Watcher jagen mit Nachtsichtgeräten Müllsünderinnen und Müllsünder, Städte verhängen drakonische Geldstrafen. Die Suche nach Schuldigen verdeckt, dass Müll eine Klassenfrage ist: Wer es sich leisten kann, lässt seinen Müll von anderen Leuten unsichtbar machen, während vor allem arme Stadtteile als schmutzig und ihre Bewohnerinnen und Bewohner als unmoralisch stigmatisiert werden.
Dabei sind es die Wohlhabenden, die den meisten Müll produzieren. Im Umgang mit Müll treten schon immer gesellschaftliche Ungleichheiten zutage: Wo Müll produziert wird, von wem er produziert wird, wo und von wem er entsorgt wird, offenbart wachsende Ungleichheiten und ungezügelte Machtinteressen.
Henriette Hufgard arbeitet als Philosophin und Kunsthistorikerin besonders zu der Verbindung von Kunst und Philosophie im Kontext kolonialer Machtstrukturen. Sie studierte in München und Rom und arbeitet derzeit an ihrer Doktorarbeit an der FU Berlin. 2023 veröffentlichte sie das Buch „ausgeklammert - Die Philosophinnen der Frankfurter Schule“, das den Ausschluss weiblicher Denkerinnen beleuchtet. Hufgard schreibt zudem regelmäßig für die taz und den Karuna Kompass.