Freitag, 17. Mai 2024

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Kultusministerin Prien (CDU)
"Verlängerung der Ferien ist nichts anderes als flächendeckende Schulschließung"

Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) sieht keine rechtliche Grundlage für eine Verlängerung der Weihnachtsferien wegen der Corona-Lage. Ein solcher Schritt komme einer Schulschließung gleich, sagte die designierte Vorsitzende der Kultusministerkonferenz im Deutschlandfunk.

Karin Prien im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 09.12.2021
Blick vom Lehrerpult in einen leeren Klassenraum einer Grundschule, wo die Stühle auf die Bänk
Vorgezogene Weihnachtsferien - darüber wird angesichts der Coronalage heftig diskutiert. (imago / Kirchner-Media)
Die designierte Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Schleswig Holsteis Bildungsministerin Karin Prien (CDU) hat im Deutschlandfunk bekräftigt, dass Schulen in der Pandemie möglichst nicht mehr geschlossen werden sollen. Auch die Verlängerung der Weihnachtsferien, wie sie Brandenburg und Sachsen bereits angekündigt haben, hält Prien für eine flächendeckende Schulschließung. Dafür gebe es aber seit der Veränderung des Infektionsschutzgesetzes durch die Ampel-Parteien keine Rechtsgrundlage mehr, betonte sie. Die Situation sei auch anders als im vergangenen Jahr vor den Weihnachtstagen, als es noch keine Impfung und keine Tests gab. Zudem könnten bereits bestehende Lernrückstände nicht aufgeholt werden, wenn die Schülerinnen und Schüler jetzt früher in die Ferien gingen.

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Das Interview im Wortlaut:
Jörg Münchenberg: Frau Prien, es gibt ja keine einheitliche Situation an den deutschen Schulen in der Corona-Pandemie. Trotzdem die grundsätzliche Frage: Wie schätzen Sie die aktuelle Lage ein?
Karin Prien: Tatsächlich ist das Infektionsgeschehen in den Bundesländern ja sehr unterschiedlich und damit natürlich auch die Situation an den Schulen, denn wir wissen inzwischen nach mehr als anderthalb Jahren Pandemie, dass das Infektionsgeschehen in der Gesamtgesellschaft immer dem an den Schulen vorausgeht. Insgesamt würde ich aber sagen, Schulen gehen sehr routiniert und professionell mit der Situation um. Schulen geben Kindern und Jugendlichen eine feste Struktur, einen Rahmen, in dem sie einigermaßen durch die Pandemie kommen. Insofern wäre mein Befund, unser Schulsystem schlägt sich wacker in dieser Situation.
Karin Prien (CDU), Bildungsministerin von Schleswig-Holstein, spricht auf einer Pressekonferenz zur geplanten Verlängerung des Lockdowns bis Ende Januar im Foyer des Landeshauses in Kiel.
Karin Prien (CDU), Bildungsministerin von Schleswig-Holstein. (dpa / picture alliance / Christian Charisius)

"Blicken aufmerksam auf die Omikron-Entwicklung"

Münchenberg: Nun gibt es die neue Corona-Variante Omikron, die sehr viele Fragen aufwirft. Es gibt auch Studien, die klar belegen, dass gerade Kinder besonders gefährdet sind. Wie sehr treibt Sie das auch als Kultusministerin um?
Prien: Wir blicken natürlich alle sehr aufmerksam auf die Omikron-Entwicklung. Für mein Bundesland kann ich sagen, wir haben bisher noch keinen bestätigten Fall. Wir haben Studien aus Südafrika, die etwas aussagen zur Krankheitslast bei sehr kleinen Kindern, bei bis zu einjährigen und bis zu fünfjährigen. Welche Auswirkungen das auf ältere Kinder und Jugendliche hat, das wissen wir schlicht noch nicht. Wir wissen auch über Omikron ansonsten viel zu wenig, um daraus jetzt konkrete Maßnahmen abzuleiten. Aber wir schauen natürlich jeden Tag auf die weitere Entwicklung.

"Luftfilter ersetzen nicht das Lüften"

Münchenberg: Frau Prien, Sie haben vorhin gesagt, man hat mittlerweile auch an den Schulen eine Art Routine im Umgang mit der Pandemie entwickelt. Auf der anderen Seite gibt es trotzdem nach wie vor viel Kritik, dass man sagt, die Schulen sind immer noch nicht gut genug vorbereitet, zum Beispiel, wenn es um Luftfilter geht.
Prien: Ja. Nur mit den Luftfiltern ist das ja so eine Sache, wie jeder erkennt, der das wissenschaftliche Geschehen darum verfolgt. Die Luftfilter ersetzen ja auf keinen Fall das Lüften, wie manche immer wieder behaupten, sondern Luftfilter können allenfalls eine Ergänzung sein, und das auch nur sinnvollerweise für Räume, die nicht vernünftig belüftbar sind. Auch das ergibt sich aus der neuen S3-Leitlinie. Insofern: Die Luftfilter sind nicht die Lösung, sondern die können allenfalls ergänzend dort wirken, wo Räume nicht belüftbar sind.

Keine Rechtsgrundlage für verlängerte Weihnachtsferien

Münchenberg: Die Frage ist, wie weitergehen mit der Corona-Pandemie. Die Zahlen sind nach wie vor sehr hoch, auch was die Ansteckung angeht, und es gibt die Empfehlung von Experten, auch von der Leopoldina, die gesagt hat, es ist zum Beispiel durchaus sinnvoll, die Winterferien auszudehnen, auszuweiten. Brandenburg und Sachsen haben sich dazu bereits entschlossen. Sie selbst sehen das eher kritisch. Warum?
Prien: Am Ende ist ja eine Verlängerung der Weihnachtsferien nichts anderes als eine flächendeckende Schulschließung. Dafür gibt es aus meiner Sicht zurzeit überhaupt keine Rechtsgrundlage. Und auch das neue Infektionsschutzgesetz, das zurzeit beraten wird, eröffnet diese Rechtsgrundlage auch gar nicht. Wir haben alle miteinander entschieden, dass es von entscheidender Bedeutung ist, dass Kinder und Jugendliche in Präsenz in die Schule gehen können und dass Lernrückstände und auch psychosoziale Folgen aufgeholt werden können. Wenn wir jetzt vorzeitig wieder in die Ferien gehen, dann können wir das nicht, und deshalb wäre ich immer sehr zurückhaltend mit solchen Maßnahmen. Wir sind in diesem Jahr in einer ganz anderen Situation als im vergangenen Jahr. Wir hatten im vergangenen Jahr vor den Weihnachtstagen keine Möglichkeit zur Impfung. Wir hatten keine Möglichkeit zur Testung.
All das ist inzwischen anders. Unsere Lehrkräfte sind weitestgehend geimpft. Wir testen an den Schulen mehrfach die Woche und selbst die Jugendlichen sind zumindest bei uns in Schleswig-Holstein zu über 60 Prozent schon zweifach geimpft. Insofern kann man auch die Situation mit dem vergangenen Jahr nicht vergleichen und deshalb ist das für uns jedenfalls in Schleswig-Holstein keine Option.
Kinder in Schulklasse mit Maske während der Corona-Pandemie
Kinder in Schulklasse mit Maske während der Corona-Pandemie (Slavomir Kubes / CTK Photo / www.imago-images.de)

"Wichtig, dass Lehrerinnen und Lehrer sich boostern lassen"

Münchenberg: Die Frage ist trotzdem, weil Sie die Testungen angesprochen haben: Die Bundesschülerkonferenz fordert zum Beispiel eine tägliche Corona-Testung an den Schulen und der Philologenverband sagt, man muss auch die Lehrer besser, noch besser schützen, zum Beispiel durch eine vorrangige Booster-Impfung. Wie stehen Sie zu diesen Forderungen?
Prien: Ich finde es extrem wichtig, dass Lehrerinnen und Lehrer sich sehr schnell boostern lassen. Deshalb sollten sie die umfangreichen Impfangebote, die es in allen Bundesländern gibt – ich habe es heute Morgen noch mal mit Blick auf unser Gespräch überprüft: Es gibt eine Reihe von offenen Impfangeboten jeden Tag im gesamten Land und es gibt die Möglichkeit, sich über die entsprechenden Plattformen Impfangebote zu beschaffen. Wir haben keine Knappheit an Impfangeboten in Schleswig-Holstein und deshalb sollten alle die Gelegenheit jetzt schnell wahrnehmen. Jetzt wieder Gruppen zu priorisieren, da sind die medizinischen Kräfte, für die das wichtig ist, da sind die Lehrkräfte, die Kitakräfte, die Polizistinnen und Polizisten, die Verkäuferinnen und Verkäufer und viele andere mehr, die alle auch dringend geboostert werden müssen. Wir haben genug Impfstoff, wir haben genug Termine und das sollten die alle bitte auch wahrnehmen.
Münchenberg: Frau Prien, ein Thema, was viele an den Schulen umtreibt: die Impfung von Kindern, die demnächst ansteht, obwohl die Stiko noch nicht die Empfehlung ausgesprochen hat. Da gibt es aber durchaus auch Besorgnisse, zum Beispiel wenn die Impfung an den Schulen durchgeführt wird - Berlin plant das ja -, dass das auch sozialen Druck ausübt. Das ist der eine Punkt. Der andere Punkt ist, dass am Ende vielleicht doch der Impfstatus darüber entscheiden könnte, ob Kinder nun Zugang zu Bildung bekommen oder nicht.
Prien: Ich halte eine entsprechende Forderung, den Zugang zu Schule und Bildung vom Impfstatus abhängig zu machen, für nicht vertretbar, sondern der Zugang zur Schule muss allen Kindern und Jugendlichen offenstehen. Ungeachtet dessen ist es richtig, jetzt nicht nur den Schülern ab zwölf, sondern ab der kommenden Woche den kleineren, den fünf bis elfjährigen Impfangebote zu machen, die niedrigschwellig erreichbar sind. Allerdings ist die Situation bei den kleinen ja doch eine andere als bei den Jugendlichen, denn ohne Eltern können Impfungen aus meiner Sicht nicht verantwortlich vorgenommen werden. Eltern müssen Teil des Beratungsgespräches sein und die Abwägung für oder gegen die Impfung ist ja noch schwerer zu treffen, als sie bei den älteren war, zumal wir ja noch keine Empfehlung der Ständigen Impfkommission hier haben. Aber noch mal: Niedrigschwellige Impfangebote für Kinder muss es jetzt geben und alle Eltern, die dies wünschen, sollten zunächst die Möglichkeit zu einer Beratung haben, und zwar einer kinderärztlichen, und dann auch ihr Kind impfen lassen können.
Münchenberg: Sie sagen, es muss für alle ein Bildungsangebot geben, egal ob geimpft oder nicht geimpft. Anders herum stellt sich aber die Frage: Ist es fair, wenn wegen vier Infektionen zum Beispiel eine ganze Klasse nach Hause geschickt wird, wenn ein Großteil der Kinder eigentlich geimpft ist?
Prien: Na ja. Wir haben ja an den Schulen inzwischen andere Quarantäneregeln. Wir schicken ja nicht einfach die ganze Gruppe nach Hause, weil ein Kind erkrankt ist, sondern im Regelfall geht es nur um die im unmittelbaren Umfeld des Kindes sitzenden Kontaktpersonen. Ansonsten bleiben die Lerngruppen ja in den Schulen. Ich kann Ihnen aus Schleswig-Holstein sagen, dass wir, Stand heute, drei Lerngruppen haben, die in Quarantäne sind, im ganzen Land. Daran können Sie ermessen, dass das Problem bei uns so richtig praktisch jedenfalls nicht ist. Und noch mal: In Anbetracht der Tatsache, dass die Frage, ob Impfungen für kleine Kinder tatsächlich in der Abwägung geboten sind, noch gar nicht beantwortet ist, kommt ein solcher Ausschluss von Kindern und Jugendlichen aus Schule mangels Impfung aus meiner Sicht nicht in Betracht.
Mundmasken und Jacken hängen im Flur der Schule an einem Kleiderhaken. Die Schulen bleiben während des Corona-Lockdowns geschlossen.
In Deutschland waren die Schulen im internationalen Vergleich lange geschlossen. (dpa/Inderlied/Kirchner-Media)
Münchenberg: Frau Prien, einen Punkt müssen wir noch ansprechen. In Deutschland waren die Schulen im internationalen Vergleich doch besonders lange geschlossen. Die Lernrückstände sind teilweise erheblich, gerade in sozial benachteiligten Familien. Das besagen zumindest die meisten Studien. Wie ist da der Stand? Konnte man das inzwischen aufholen? Es gab ja auch zusätzliche Mittel. Aber da gibt es durchaus auch Experten, die sagen, die Lücke ist immer noch groß.
Prien: Die Lücke ist unterschiedlich groß, und zwar unterschiedlich in den Bundesländern, weil auch dort gilt, der Umfang des ausgefallenen Unterrichts differiert stark. Aber der Unterschied ist auch von Schule zu Schule und von Schüler zu Schülerinnen unterschiedlich groß. Deshalb ist es so wichtig, dass die Schulen darauf einen ganz differenzierten Blick haben und dort fördern, wo es notwendig ist. Mit diesen Fördermaßnahmen, die ja ganz unterschiedlich ausgestaltet sind, ist schon im vergangenen Jahr begonnen worden, über die Ferien, Sommerferien, Herbstferien, und das werden wir auch im nächsten Jahr weiterführen. Bei dem einen oder anderen Schüler konnten die Defizite schon aufgeholt werden und bei anderen werden wir damit noch weiter zu tun haben, möglicherweise auch über mehrere Jahre. Insofern ist das Work in Progress und sicherlich nicht abgeschlossen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.