Freitag, 19. April 2024

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Corona-Maßnahmen von Bund und Ländern
Marco Buschmann (FDP): Derzeit kein Lockdown notwendig

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hält einen Lockdown zum jetzigen Zeitpunkt nicht für angebracht. Er räumte aber ein, dass er einen Lockdown grundsätzlich nicht ausschließen könne. Wenn die Gefahr durch Omikron größer werde, dann seien auch strengere Maßnahmen angemessen, so Buschmann im Dlf.

Marco Buschmann im Gespräch mit Silvia Engels | 21.12.2021
Marco Buschmann (FDP) ist Bundesjustizminister
Marco Buschmann (FDP) ist Bundesjustizminister. Im Dlf sagte er, man wolle im Kampf gegen Omikron erstmal auf Kontaktbeschränkungen und das Boostern setzen (picture alliance/dpa/Kay Nietfeld)
Zur Eindämmung der zu erwartenden Omikron-Welle in Deutschland hat der Corona-Expertenrat unter anderem Kontaktbeschränkungen empfohlen. Beim Treffen von Bundeskanzler Olaf Schloz (SPD) mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten wird wohl auch über weitere Maßnahmen diskutiert werden.

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sagte im Deutschlandfunk-Interview, dass Kontaktbeschränkungen ein sehr gutes und wirksames Instrument seien. Einen Lockdown halte er zu diesem Zeitpunkt aber nicht für notwendig. "Aber ein Instrument ein für allemal auszuschließen, das empfiehlt sich nicht in einer dynamischen Lage", so Buschmann. Man wolle weiterhin vor allem auf Booster-Impfungen setzen.
Politiker von Koaltionspartner Die Grünen und von der Opposition befürchten jedoch, dass ein genereller Lockdown unumgänglich sein wird. Der CDU-Rechtspolitiker Jan-Marco Luczak sagte im Deutschlandfunk, es gelte jetzt, entschlossen zu handeln. "Auch die FPD mit ihrem überkommenen Freiheitsdogma darf nicht länger diese notwendigen Beschlüse verhindern."

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Engels: Das überkommene Freiheitsdogma über Bord werfen – machen Sie das?

Buschmann: Ich muss mich schon sehr wundern über die Wortwahl, weil Grundrechte und Freiheit sind ja kein Dogma, sondern sie sind die Grundlage unseres Zusammenlebens und unseres Grundgesetzes. Und das bedeutet natürlich, wenn eine Gefahr besteht, dass wir angemessene Maßnahmen ergreifen müssen, aber natürlich immer Rücksicht nehmen müssen auf den Freiheitsanspruch der Bürgerinnen und Bürger.

Engels: Aber im Vergleich zu dem, was Sie im Oktober verlangt haben, müssen Sie jetzt feststellen, dass strengere Maßnahmen viel nötiger sind. Damals wollten Sie noch viel mehr liberalisieren. Haben sie mittlerweile komplett umgedacht.

Buschmann: Wir sind ja eine Partei der Verhältnismäßigkeit und deshalb muss man immer in die konkreten Verhältnisse reinschauen. Wenn sich die Lage verändert, wenn die Gefahr größer wird, dann sind natürlich auch strengere Maßnahmen angemessen, und genau das haben wir ja gemacht. Die vierte Welle der Delta-Variante haben wir ja mit unserem Maßnahmenpaket gut eindämmen können. Die Lage ist immer noch ernst, ich will das gar nicht beschönigen, aber die Infektionszahlen sinken ja deutlich. Und jetzt, wo wir es mit Omikron zu tun haben, brauchen wir Fakten.


Die Expertinnen und Experten der Bundesregierung haben sich jetzt das verfügbare Wissen angeschaut. Aber wir sind uns hier auch einig, auch der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sagt ja, dass wir jetzt noch nicht mit einem Lockdown arbeiten. Aber ein Instrument ein für allemal auszuschließen, das empfiehlt sich nicht in einer dynamischen Lage, aber im Moment wollen wir auf die Booster-Kampagne setzen und mit dem Instrument der Kontaktbeschränkungen arbeiten.

"Ein Lockdown ist eine massive Beschränkung"

Engels: Lockdown jetzt noch nicht ausschließen, haben Sie gesagt. Das heißt, die FDP würde auch so etwas mitgehen, was bis hin zu Geschäfts- und Schulschließungen reicht? Denn das Infektionsschutzgesetz gibt das ja derzeit nicht her.

Buschmann: Genau und wir wollen das auch verhindern, denn Sie müssen sich ja immer klarmachen, ein Lockdown ist eine massive Beschränkung nicht nur von Freiheit. Es beeinträchtigt auch Menschen in ihrer Entwicklung. Es kommt zu gesundheitlichen Schäden an der Seele, aber auch am Leib. Das ist schon ein sehr scharfes Schwert und auch bei den Schulschließungen wissen wir ja, was für massive Folgen das hat, denn wir haben ja jetzt schon lange Zeit sehr beeinträchtigte Bildungsbiographien für die Schülerinnen und Schüler, aber auch die Studentinnen und Studenten, und unser Ziel ist es, das zu verhindern.

Engels: Dass Sie das nicht wollen als FDP, das ist klar und breit kommuniziert. Aber Sie schließen es nicht mehr aus? Heißt, müssen Sie dann nicht noch mal bald ans Infektionsschutzgesetz heran, um sich zumindest die Möglichkeit zu schaffen, schnell zu handeln?

Buschmann: Ich finde, wir sollten jetzt nicht versuchen, möglichst neue Überschriften zu produzieren. Wir haben ein rechtliches Instrumentarium. Mit diesem rechtlichen Instrumentarium waren wir erfolgreich beim Brechen der Delta-Welle, obwohl auch viele gesagt haben, dass man da schon hätte mit einem Lockdown arbeiten müssen. Wir haben es Gott sei Dank mit einem milderen Mittel geschafft, hier das Gesundheitssystem vor dem Zusammenbruch zu bewahren, und wir werden das auch bei der Omikron-Welle probieren, und dann werden wir uns die Lage genau ansehen, wenn wir mehr Informationen und mehr Fakten haben.

Ich bin mir hier einig mit dem Bundesgesundheitsminister, dass das jetzt nicht das Mittel der Wahl ist, sondern wir boostern. Wir haben die erfolgreichste Booster-Kampagne in Europa. Wir wissen, dass das Boostern keinen perfekten Schutz bietet, aber einen sehr guten Schutz, insbesondere gegen schwere Verläufe, und deshalb ist dies das Mittel der Wahl.
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Alles tun, um Ausbreitung von Omikron zu verlangsamen

Engels: Auf der anderen Seite warnen Infektiologen, Epidemiologen davor, auch der Expertenrat, zu lange zu warten, schnelle Maßnahmen seien gefragt. Machen wir es konkret. Nach Weihnachten maximal Treffen von zehn Personen, Kinder unter 14 nicht mitgezählt. Wäre es nicht an der Zeit, das schon vor Weihnachten einzuführen?

Buschmann: Erst mal ist es so, das Instrument der Kontaktbeschränkungen ist ein tiefer Grundrechtseingriff, aber sehr wirksam. Wir haben darauf auch immer wieder hingewiesen, auch in der vierten Welle mit der Delta-Variante. Damit steht ein sehr wirksames Instrument zur Verfügung und heute werden sich ja die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder mit der Bundesregierung dazu austauschen, was der richtige Umgang damit ist.
Engels: Richtiger Umgang – es gibt ja weitere Vorschläge auf dem Tisch. Die heißen zum Beispiel überregional, bundesweit Konzerte absagen, Sportveranstaltungen nicht mehr mit Publikum ermöglichen. Sind das Forderungen, die die FDP teilt?

Buschmann: Ich finde, wir müssen alles tun, was erforderlich ist, um die Verbreitung der Omikron-Variante zu verlangsamen, sie nach Möglichkeit einzudämmen, und alles, was dazu beiträgt, dass wir nicht in einen Lockdown müssen, halte ich für angemessen.

"Es geht um das Prinzip der Verhältnismäßigkeit"

Engels: Die epidemische Notlage nationaler Tragweite auslaufen zu lassen, war nach Meinung von Markus Söder, dem bayerischen Ministerpräsidenten, ein Fehler. Soll die nun schnell wieder eingeführt werden?

Buschmann: Davon halte ich ganz wenig und mit Verlaub, das Vokabular, mit dem da gearbeitet wird, ideologischer Krempel und so weiter, halte ich für nicht angemessen. Es geht hier um das Prinzip der Verhältnismäßigkeit, der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte und das ist kein ideologischer Krempel, sondern eine wichtige Grundlage unseres Zusammenlebens.

Engels: Wortwahl hin oder her – auf der anderen Seite hatten Experten schon im Spätsommer gewarnt, dass die Welle groß wird, und die FDP hat sich immer gesträubt, hier möglicherweise strenge Maßnahmen schon zu beschließen. Haben Sie da auch Versäumnisse?

Buschmann: Es ist so: Wir haben ja unsere Maßnahmen der Lage immer angemessen angepasst. Wir wollten mit unserem neuen Schutzkonzept die Maßnahmen transparenter machen und ins Parlament tragen, und das Parlament hat gezeigt, dass es in der Lage ist, flexibel zu reagieren. Ich will noch mal den Hinweis geben: Die vierte Welle der Delta-Variante ist eine große Belastung, nach wie vor, aber wir haben sie mit unserem Maßnahmenpaket gebrochen. Und ich will auch noch einen weiteren Hinweis sagen: Es wird ja immer der Eindruck erweckt, als stünde das alte Maßnahmenpaket und das neue in einem Verhältnis von mehr oder weniger. Wir haben mit unserem Maßnahmenpaket auch ganz andere Maßnahmen auf den Weg gebracht, die es vorher nicht gab, die sich als sehr wirksam erwiesen haben – 3G am Arbeitsplatz, 3G im ÖPNV, die strenge Testpflicht in den Altenheimen.

Deshalb glaube ich, dass wir sehr angemessene und wirksame Maßnahmen auf den Weg gebracht haben. Wir wollten nur vermeiden, dass es wieder einen flächendeckenden Lockdown gibt und überall die Schulen zugemacht werden, weil uns das ein sehr, sehr, sehr starker Grundrechtseingriff zu sein scheint, den wir mit milderen Mitteln vermeiden konnten.

"Es wird vermutlich auch Anträge geben, die mit gestaffelten Impfpflichten arbeiten"

Engels: Herr Buschmann, dann kommen wir noch auf das Thema Impfen zu sprechen, denn alle Seiten fordern ja nun, Booster-Kampagnen vorzuziehen. Auf der anderen Seite gibt es in der FDP-Bundestagsfraktion derzeit von rund 30 Abgeordneten den Vorstoß gegen eine allgemeine Impfpflicht. Darüber soll Anfang nächsten Jahres im Bundestag ohne Fraktionszwang abgestimmt werden. Wissen Sie schon, wie Sie sich entscheiden?

Buschmann: Es ist ja so: Wir haben ja den Weg von Gruppenanträgen gewählt. Den Vorschlag hatte ich ja auch gemacht, weil bei einem so schwierigen medizinethischen Thema dies das angemessene Verfahren ist. Jetzt bilden sich Gruppen und sobald alle Vorschläge auf dem Tisch liegen, wird sich der Abgeordnete Buschmann auch entscheiden, denn da gibt es ja nicht nur Schwarz und Weiß, Impfpflicht ja oder nein. Es wird vermutlich auch Anträge geben, die mit gestaffelten Impfpflichten arbeiten, beispielsweise am Kriterium des Alters festgemacht, wie wir das aus Griechenland kennen. Wenn die Vorschläge alle auf dem Tisch liegen, dann werde ich mich entscheiden.
Engels: Nun passt aber ein solcher Antrag vielleicht nicht so gut zur Einschätzung der Corona-Experten, die ja davor warnen, dass ohne Impfung die Welle enorm hoch ist. Wäre es nicht an der Zeit, dass die FDP vielleicht auch grundsätzlich überlegt, ob eine allgemeine Impfpflicht nicht auch für das Impfen stärker werben kann?

Buschmann: Ich glaube, das ist ein Missverständnis. Die FDP setzt sich massiv fürs Impfen ein. Wir haben in der Ampel-Regierung zusammen mit unseren Partnern die erfolgreichste Booster-Impfkampagne in Europa auf den Weg gebracht. Wir sind als Deutschland zum ersten Mal wirklich ganz an der Spitze mit dabei und warten nicht, bis andere uns zeigen, wie das geht. Wir sind sehr fürs Impfen. Wir werben fürs Impfen und werben fürs Impfen heißt natürlich, dass möglichst viele Menschen auch freiwillig sich auf diesen Weg begeben sollen. Dann gibt es auf der anderen Seite in der Tat Expertinnen und Experten, die sagen, dass man die Impflücke nicht anders als mit Pflichten schließen kann, aber genau das ist ja die medizinethische Frage, um die es geht.

"Die Menschen sollen sich möglichst impfen lassen"

Engels: Aber in dem FDP-Antrag – das sollten wir vielleicht noch bedenken – wird angegeben, dass der aktuelle Impfstoff gegen Omikron nicht so gut schütze. Das solle man überprüfen, das mag richtig sein. Aber ist das nicht etwas, was das Impfen dann in dem Werbecharakter wieder beeinträchtigt?

Buschmann: Frau Engels, ich glaube, das ist ein Missverständnis. Erst mal: Das ist ja kein FDP-Antrag der FDP-Fraktion, sondern wir haben ja das Gruppenantragsverfahren gewählt und es finden sich jetzt Abgeordnete aus verschiedenen Fraktionen zusammen. Das ist das erste, was mir ganz wichtig ist.

Das zweite ist: Man kann ja jetzt niemandem verbieten, öffentlich zugängliche Informationen zur Verfügung zu stellen. Das machen Sie ja als Journalismus auch.

Engels: Na klar!

Buschmann: Wichtig ist, dass es keine Falschinformationen gibt. Ich kann für mich persönlich ganz klar sagen – und das gilt für alle in der FDP, die ich kenne -, die Menschen sollen sich möglichst impfen lassen, sollen sich aufklären lassen, aber sollen sich bitte impfen lassen. Das ist der beste Schutz.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.