Samstag, 04. Mai 2024

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IOC-Entscheid zu Russland
Ein gefährlicher Türöffner

Das Internationale Olympische Komitee schreibt sich selbst zu, friedensstiftend zu sein. Die Entscheidung, russische Athletinnen und Athleten wieder zu internationalen Wettkämpfen zuzulassen, bewirke das Gegenteil, kommentiert Jessica Sturmberg.

Ein Kommentar von Jessica Sturmberg | 01.04.2023
IOC-Präsident Thomas Bach (l.) im Gespräch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin im Jahr 2019.
IOC-Präsident Thomas Bach (l.) im Gespräch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin im Jahr 2019. (imago images / ITAR-TASS / Sergei Bobylev via www.imago-images.de)
Menschen, die zusammen Sport machen, in einem fairen Wettstreit gegeneinander antreten, während der Olympischen Spiele im olympischen Dorf wohnen, zusammenfinden, Freundschaften knüpfen über kulturelle Barrieren hinweg.
Das ist keine Theorie, das gibt es wirklich so. Olympioniken erzählen das mit leuchtenden Augen. Allerdings in der Vergangenheitsform. Inzwischen bringt das Internationale Olympische Komitee Athletinnen und Athleten immer wieder in einen tiefen Gewissenskonflikt, lädt auf sie ab, was auf höchster Ebene entschieden werden müsste und das wäre jetzt ganz klar: Kriegstreibende Nationen wie Russland sollten bei internationalen Wettkämpfen nicht mitmachen dürfen. Punkt.
Stattdessen verweist IOC-Präsident Thomas Bach auf das Individuum, das nicht für die kriegerischen Handlungen seiner Staatsführung bestraft werden sollte. Klingt auf den ersten Blick nachvollziehbar – ja, was kann der oder die Einzelne dafür? Das ist ein ganz geschickter Perspektivwechsel vom Blick auf die Nation hin zum Individuum und seiner Loslösung aus dem nationalen Kontext.

Athletinnen und Athleten sind Teil der Propaganda

Nur funktioniert diese Erzählung nicht: Zum einen sind Olympische Spiele vor allem ein Wettstreit der Nationen. Und zum anderen senden autokratische Regime ihre Athletinnen und Athleten ja gerade als Teil ihrer Propaganda auf die sportliche Bühne. Um Stärke und Überlegenheit zu demonstrieren.
Ein Signal, das nach außen in die Welt gesendet wird, aber vor allem auch nach innen, ins eigene Land. Ob sie wollen oder nicht, russische Athletinnen und Athleten treten im Namen der Politik ihres Landes an, ihre Siege sind Siege von und für Putin und vor allem: ein Sieg für den Krieg.
Der Chef des russischen Nationalen Olympischen Komitees hat es bei der Teilmobilisierung vergangenen Herbst explizit so verkündet: Für jeden russischen Sportler sei es eine Ehre, wenn er zum Erfolg des Krieges beitragen könnte. Es braucht demnach keine äußeren Symbole mehr, wie die Nationalhymne, -flagge oder die nationale Uniform, um diese Propaganda zu übermitteln – die Sportlerinnen und Sportler tun es qua ihrer Person.

Sportlerinnen und Sportler können sich Propagandafunktion nicht entziehen

Nur ein russischer Athlet oder Athletin, die sich davon explizit und öffentlich distanziert, könnte die persönliche Propagandafunktion außer Kraft setzen. Aber wer kann das schon? Vielleicht der Tennisspieler Daniil Medwedew, der im Ausland lebt, einen Einzelsport betreibt, sich selbst finanziert und direkt zu Beginn den Krieg bereits verurteilte.
Aber jede Athletin, jeder Athlet, der in Russland trainiert, dort eingebunden ist in staatliche Sportfördersysteme, dürfte kaum in der Lage sein, sich dieser Propagandafunktion zu entziehen. Und das sind viele. Rund 80 Prozent sind Armeeangehörige, weil die Armee ähnlich wie in vielen Ländern eine wichtige Funktion hat bei der Spitzensportförderung.

Wehrpflichtige werden nicht ausgeschlossen

Und jetzt wird es ganz spitzfindig: Das IOC empfiehlt zwar diejenigen weiter auszuschließen, die in Russland beim Militär unter Vertrag stehen, Wehrpflichtige gehören aber nicht dazu. Es wird am Ende kaum überprüfbar sein, warum wer dann doch teilnehmen durfte. Es ist die alte Masche, scheinbar streng zu agieren, der Kritik den Wind aus den Segeln zu nehmen und huch, dann trafen die Ausschlusskriterien doch auf kaum jemanden zu.
Und immer wieder wichtig: die Entscheidung selbst fällen die Fachverbände. Und dann entscheiden die einen so, die anderen so. Mit Blick auf den großen russischen Einfluss im Weltsport lässt sich erahnen, wie es weitgehend ausfallen wird.

Kampf um die Spiele ist eröffnet

Diese Entscheidung ist ein gefährlicher Türöffner, der genau das Gegenteil dessen bewirkt, was sich das IOC immer selbst zuschreibt: Friedensstiftend zu sein.
Eine echte Friedensmission des IOC wäre: Grundsätzlich Nationen auszuschließen, die andere bösartig überfallen, foltern, töten und auf übelste Weise Menschenrechte verletzen. Der Sport könnte auf diese Weise seinen Einfluss wirksam nutzen. Putin das wichtige Instrument der Propaganda mittels Sport nehmen. Der Kampf um die Spiele, dem Fest des Spitzensports, nach dem sich so viele inzwischen so sehr sehnen, ist eröffnet.