Ich führe ein Doppelleben - und jetzt?!
Von Julia Keller
Deutschlandfunk 2025
(Wdh. am 23.12.2025, 22.05 Uhr, Deutschlandfunk Kultur)
Eine Woche Mutter, eine Woche frei - das Wechselmodell klingt modern, fühlt sich für Filmemacherin Julia Keller aber an wie ein Doppelleben. Drei Monate lang leben ihre Kinder beim Vater. Endlich Zeit zum Schreiben. Endlich Zeit für sie selbst. Nur - wer ist man, wenn niemand „Mama“ ruft?
In Schweden stellt sich Julia ihrer Angst vor Stille und Einsamkeit, während die Kinder mit ihrem Vater Delfine sehen. Eifersucht inklusive. Zurück in Athen will sie beruflich durchstarten - doch nichts klappt. Die Projekte liegen brach, das ZDF kürzt Aufträge, und im kommenden Jahr verliert sie ihre Versicherung. Sinnkrise trifft auf Existenzkrise: Bis zum 15. Dezember muss etwas gelingen. Sonst ist Schluss mit Film, Schluss mit der Branche. Aber wohin, wenn man 20 Jahre lang alles auf eine Karte gesetzt hat? Das schlechte Gewissen bleibt: Sie vermisst ihre Kinder - und die Version von sich, die sie einmal war.
Privat läuft’s kaum besser. Julia ist müde von Männern mit „Salami-Taktik“. Mit ihrem Psychologenfreund Dennis spricht sie über Beziehungen, Sexualität und das Leben nach 17 Jahren Beziehung. Gemeinsam besuchen sie die Ausstellung SEX NOW, er „pitcht“ sie auf einem Dating-Event - Julia fragt sich, was sie alles verpasst hat. Oder vielleicht gar nicht so viel? Denn die Männer ihres Alters leiden an einem mentalen Bierbauch: entweder vergeben, traumatisiert in Trennung oder schon immer allein - aus Gründen. Mitte 40, zwei Kinder aus sich herausgepresst, beruflich am Limit - und jetzt? Vielleicht ein jüngerer Freund? Oder gleich der Vaginal-Laser? Und überhaupt: Braucht man noch eine „All-in“-Beziehung - oder reichen Kinder, Freundschaften und ab und zu ein bisschen Körperlichkeit? Kurz: What to do with this one precious life?
Julia Keller, lebt in Köln, geboren 1980 in Erding, ist Filmemacherin und Autorin. Sie studierte Film an der Kunsthochschule für Medien Köln, wurde ausgezeichnet u.a. mit dem Förderpreis Schnitt des Deutschen Kamerapreises und dem Orka Award 2024, nahm an internationalen Writers’ Labs und Förderprogrammen teil - darunter audience:first Lab, European Writers Desk und The OWL Athens. Sie arbeitet an filmischen Stoffen zwischen Intimität und Systemkritik - immer auf der Suche nach Geschichten, in denen das Persönliche politisch wird.