Antike Gnosis im modernen Gewand:
Rituale und religiöse Deutungsmuster der Klimabewegung
Von Karl-Heinz Kohl
Durch den Klimawandel kommen völlig neue Probleme auf die Menschheit zu. Die Rituale und Denkmuster der Klimabewegung folgen indes sehr alten religiösen Formen. Es ist fraglich, ob sie für die neuen Herausforderungen taugen. Der Ethnologe Karl-Heinz Kohl schärft in diesem Essay unseren Blick für die vielen überraschenden Parallelen zwischen der Klimabewegung und alten religiösen Ritualen und Konzepten: Ob es um öffentliche Demonstrationen, die Verweigerung der Schulpflicht oder Ernährungstrends geht - immer zeigen sich historische Tiefenschichten mit deutlichen Ähnlichkeiten. Das gilt sogar für die CO2-Kompensation bei Flugreisen oder den Zweifel daran, ob es moralisch sei, in dieser bedrohten Welt mit ungewisser Zukunft noch Kinder zu zeugen. Und die Führungsfigur, Greta Thunberg? Sie sei eine typische außeralltägliche Prophetenfigur, um die sich Narrative gruppieren, ähnlich denen um Jesus oder Johanna von Orléans, zeigt Karl-Heinz Kohl. Selbst die Verleumdung von Greta Thunberg als geisteskranker, von außen gesteuerter, unlauterer Führungsgestalt folgt den historischen Schmutzkampagnen gegen so manchen Propheten. Abgesehen davon, dass der fundamentale Dualismus von „wir“ und „die“ auch hier wieder aufgegriffen wird. Dabei ist es strenggenommen unerheblich, ob die Inhalte der historischen und gegenwärtigen Bewegungen wirklich inhaltlich verwandt sind. Denn die neuere ethnologische Forschung zeigt, so argumentiert Karl-Heinz Kohl unter Rückgriff auf Frits Staal und Claude Lévi-Strauss zugleich, dass der Inhalt von Ritualen geradezu austauschbar sein kann. Nicht zufällig habe selbst der dezidiert atheistische Kommunismus auf katholische Prozessions-Rituale zurückgreifen können, ob nun bewusst oder unbewusst. Das alles bedeutet aber auf keinen Fall, dass die Inhalte der Klimabewegung zu vernachlässigen seien oder gar als Klimahysterie tituliert werden könnten, argumentiert Karl-Heinz Kohl. Denn die Ziele der Bewegung sind rational und entsprechen dem Stand der naturwissenschaftlichen Forschung. Karl-Heinz Kohl ist nur skeptisch, ob man Menschen zu rationaler Argumentation und zu Engagement bewegt, indem man anhand alter dualistischer Muster argumentiert und eine apokalyptische Grundstimmung erzeugt.
Karl-Heinz Kohl ist Ethnologe und Religionswissenschaftler. Von 1996 bis 2016 als Professor an der Goethe-Universität Frankfurt tätig, leitete er dort zugleich das Frobenius-Institut für kulturanthropologische Forschung. Daneben lehrte er an der FU Berlin, an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, an der New School for Social Research in New York und an der Ludwig-Maximilians-Universität München.