Emoji-Welt - Eine bildexegetische Annäherung an die kalifornische Ideologie
Von Holm Friebe
Ein Smiley, ein Schmollgesicht oder ein achselzuckendes Shruggie. Schon ist in der digitalen Kommunikation scheinbar alles klar. Was aber lässt sich mit Emojis nicht sagen? Drückt sich in dieser putzigen Sprache womöglich eine krasse Ideologie aus?
Wovon man nicht sprechen kann, davon muss man schweigen. Glaubte der Philosoph Wittgenstein. Wenn der Fall ist, dass Emojis die Lingua Franca des Digitalzeitalters sind - eine neuzeitliche Hieroglyphen-Schriftsprache, die sich von Japan aus um den Globus auf über sieben Milliarden Mobiltelefon-Displays verbreitet hat - , dann ist besonders aufschlussreich, was sich darin alles nicht sagen und ausdrücken lässt.
Schon immer haben sich totalitäre Denksysteme und Regime auch dadurch definiert, was in ihnen alles nicht sagbar ist, was ausgeblendet und unterschlagen wird, damit es in Vergessenheit gerät. Insofern erzählt die Welt der Emojis - und ihre blinden Flecken - viel über die Zeit und die Welt, in der wir leben. Umgekehrt ist das Weltbild, das sich mit den, Stand: 2024, rund 3.800 im Unicode-Standard festgelegten Zeichen zeichnen lässt, ein idealisiertes, aber typähnliches und typisches Abbild des schrecklich schönen Lebens im Kulturkapitalismus.
Genauer gesagt: In Summe bilden Emojis das Sinnbild und Panorama des Lebens nach Maßgabe der kalifornischen Ideologie ab: ein anarcholibertärer Nachtwächterstaat, in dem die Staatsreligion Hedonismus den subtilen Zwang zur Selbstoptimierung maskiert; ein puritanistisches Disneyland, in dem Fun-Sportarten der neue Sex sind; ein postmaterielles Schlaraffenland, in dem Oatmilk und Bitcoins fließen, es aber keine Waschmaschinen und keine Müllabfuhr gibt.
Ideologien heute, das stellte Frank Schirrmacher noch kurz vor seinem Tod 2014 fest, werden heute nicht mehr über Bücher und Manifeste verbreitet, sondern sind quasi hart verdrahtet in die Maschinen und Algorithmen eingebaut, die unser Leben bestimmen. Das gilt für die sogenannte kalifornische Ideologie in besonderem Maße, die sich als weltanschaulicher Überbau des Silicon Valley herausgebildet hat und sich anschickt - eingebaut in Computer, Internet und KI - von dort aus die Welt zu beherrschen.
Beides, die aus der Urform des Smileys hervorgegangenen Emojis und die am technosozialen Heilsversprechen des Internet klebende kalifornische Ideologie haben ihren Ursprung in der Hippiekultur Kaliforniens, wie Fred Turner in seinem Buch „From Counterculture to Cyberculture” beschreibt. Wie das oft so ist mit den Geistern, die man rief: Der scheinbar befreiende und emanzipatorische Tanz bekiffter Langhaariger hat die Monster und Ungeheuer auf den Plan gerufen, mit denen wir es heute zu tun haben. Den Geist aus der Flasche gibt es übrigens dreimal als Emoji.
Holm Friebe, Jahrgang 1972, ist Gründer und Geschäftsführer der Zentralen Intelligenz Agentur. Als Autor hat er u.a. mit Sasha Lobo in „Wir nennen es Arbeit“ (2006) den Begriff der digitalen Bohème geprägt, mit „Die Stein-Strategie“ (2015) eine Anleitung zum Nichthandeln geschrieben oder hat gemeinsam mit Detlef Gürtler in „Clusterfuck: Warum Katastrophen uns lieben“ (2018) darüber nachgedacht, wie es gelingen kann, weniger zu scheitern. Friebe hat das Kunstdiskursformat „NUN - Die Stunde der Kunst“ initiiert, die Kunstmarktaktion „Direkte Auktion“ erfunden und zuletzt mit „Works on Skin“ Kunsteditionen als Tätowierungen in den Kunstmarkt gebracht.