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Kommentar zum Bundeskanzler
Die wattierte Welt des Olaf Scholz

Der Krieg, das Klima – Deutschland werde sich ändern müssen, ein Kanzler müsse das sagen, kommentiert Georg Löwisch, Chefredakteur von „Christ & Welt“. Von Olaf Scholz habe man aber dieses Jahr den Eindruck bekommen: Alarmreden will er nicht halten.

Ein Kommentar von Georg Löwisch | 24.12.2022
Bundeskanzler Olaf Scholz
Die Regierung sorge dafür, dass es drinnen kuschelig bleibt, selbst wenn es draußen blitzt und ballert, kommentiert Georg Löwisch (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
Bundeskanzler Olaf Scholz sieht seinen Job darin, den Deutschen Veränderungen vom Leib zu halten. Er beruhigt, dämpft und bremst, mag da kommen, was will.
Die Welt rutscht von einer Krise in die nächste. Aber die deutschen Bürgerinnen und Bürger sollen sich bloß nicht aufregen müssen. Das ist ein verlockendes Angebot. Die Frage ist nur: Müssten wir uns nicht aufregen und Veränderungen fordern? Die Welt, so sagen es die Wissenschaftler, ist jetzt schon kaum noch zu retten. Aber die Klima-Krise wird gerade dann zu locker genommen, wenn die deutsche Gesellschaft in den anderen Krisen lernt, dass es so schlimm schon nicht werden wird.

Die Verabredung zwischen den Deutschen und ihrem Kanzler

Putin hat einen brutalen Krieg begonnen, in der Ukraine ist der Alltag untergegangen, die Leichtigkeit ist zusammengebrochen. Menschen sterben jeden Tag. Exporte von Nahrungsmitteln stocken, der Energiemarkt ist in Aufruhr. Und ja: In Deutschland steigt die Inflation. Aber welche beißenden, existentiellen Sorgen machen sich die Menschen hierzulande? Für die meisten ist es immer noch die Welt draußen vor dem Fenster oder besser: vor dem Fernseher.
Drinnen in Deutschland wird es Weihnachten, so wie es Ostern wurde und die Sommerferien kamen. Die Menschen flogen in den Urlaub – sich was gönnen, nach Corona, sie kauften neue Autos und gerade drehen sie auch die Heizung wieder auf. 20 Prozent Gas sollen eigentlich eingespart werden: Das Ziel ist in Gefahr, wenn so viel Gas verfeuert wird, wie jetzt.
Aber auch das veranlasst Olaf Scholz nicht zum dramatischen Appell. Sein Angebot an die Menschen ist ein anderes. Die Regierung sorgt dafür, dass es drinnen kuschelig bleibt, selbst wenn es draußen blitzt und ballert: Diese Verabredung kennzeichnet die Deutschen und ihren Kanzler im zu Ende gehenden Jahr 2022. Die wattierte Welt des Olaf Scholz.

Die Sehnsucht, die Welt draußen zu halten, ist verständlich

Eigentlich hatte der Kanzler selbst von Zeitenwende gesprochen am 27. Februar, drei Tage nach dem russischen Überfall auf die Ukraine. „Die Welt danach ist nicht mehr wie die Welt davor“, sagte Scholz wortwörtlich vor dem Deutschen Bundestag. Damals versprach er, die Bundeswehr mit 100 Milliarden Euro in Schuss zu bringen.
Nun kam heraus: von 18 Schützenpanzern des Typs Puma funktionierte bei einem Test kein einziger, die Bundeswehr kommt ächzend voran. Und auch sonst: Was hat sich eigentlich geändert? Klar, die Gaspreise steigen, aber – staatlich gebremst. Scholz hilft Wirtschaft und Verbrauchern mit mehr als 200 Milliarden Euro, das ist nicht nur Watte, sondern schon Dämmwolle. Die kann gut sein. Aber sie darf nicht die Luft zum Atmen nehmen, die klare Sicht darf nicht verloren gehen.
Natürlich ist es richtig, soziale Härten abzufedern. Nur: Wer dafür zahlt, auch das haben Scholz und seine Ampel-Koalitionäre lange hin- und hergeschoben. Nun werden es vor allem neue Schulden. Dass die Gruppe der Höchstverdiener höhere Steuern zahlen muss, ist nicht in Sicht. Dabei empfiehlt eine Mehrheit der Ökonomen genau das.
Die Sehnsucht, die Welt draußen zu halten, ist verständlich. Denn die Krise davor, Corona, brach ins Leben ein wie keine andere Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte. Umso vorsichtiger ist die Politik jetzt mit den Menschen, sie will niemanden aufregen.

Deutschland wird sich ändern müssen

Der Kanzler, der sein Volk in Watte packt – diese Methode mag für ihn im Umgang mit Russlands Krieg gegen die Ukraine noch eine Weile funktionieren. Nur erzeugt das für die dritte Krise, die Klimakrise, den falschen Lerneffekt. Das Aufheizen der Erde ist schon nicht mehr zurück zu drehen, es kann nur noch begrenzt werden. Entschlossenheit tut Not. 
Wie viel Wahrheit verträgt ein Land? Von Olaf Scholz hat man dieses Jahr den Eindruck bekommen: Alarmreden will er nicht halten.
Und in der Tat: Wie empfindlich sie reagieren, wenn jemand versucht, sie zu wecken, sieht man an den Reaktionen auf die Proteste der „Letzten Generation“. Allzu deutlich wollen nur wenige auf die Klimakatastrophe hingewiesen werden. Zu viele wollen weiter schlummern.
Die Zeitenwende.: „Die Welt danach ist nicht mehr wie die Welt davor“. Mittlerweile muss man ergänzen: Das Deutschland danach soll so sein wie das Deutschland davor. Das wird nicht funktionieren. Der Krieg, das Klima – Deutschland wird sich ändern müssen. Ein Kanzler muss das sagen. Die Deutschen müssen es hören, ob sie wollen oder nicht.