Für Pessimismus ist es zu spät
Abgesang auf die Öffentlichkeit
Von Eva Menasse
Die alte Öffentlichkeit ist vorbei. Mit all ihren Fehlern und Schwächen. Heute zersplittert die Öffentlichkeit in Einzelmeinungen, beklagt Eva Menasse, die die über die Massenmedien hergestellte Öffentlichkeit vor der Digitalisierung vermisst. Natürlich gab oder gibt es nicht die eine Öffentlichkeit. Es gab immer viele davon. Als große und kleinere verschiedenfarbige Kreise lagen sie übereinander wie ein Schaubild aus der Mengenlehre: politische, wissenschaftliche, künstlerische Öffentlichkeit und diverse Untergruppen. Die politische Öffentlichkeit war lange ungerecht und beschränkt, wenn etwa in der Antike nur männliche Patrizier auf das Forum oder die Agora durften, die Fremden, die Frauen, die Sklaven aber natürlich nicht. Als drittes neben der episodischen Öffentlichkeit (auf der Straße, in der Kneipe), die es immer geben wird, und der sogenannten veranstalteten Präsenzöffentlichkeit definierte Habermas schließlich die abstrakte Öffentlichkeit, die über Massenmedien hergestellt wurde. Als sie entstand, war sie verdächtig, weil sie einem Niveauverlust Vorschub zu leisten schien. Da hatten wir noch Sorgen, könnte man inzwischen sagen. Denn möglicherweise war diese sogenannte abstrakte, massenmediale Öffentlichkeit das Beste, was in einer zusammenwachsenden Welt zu bekommen war, einen historischen Moment lang, in jenem Wimpernschlag, bevor die Digitalisierung alles durchdrang. „Die Verzweiflung unserer Kinder ist die Hoffnung, die wir noch haben können. Ihre Streiks und Demonstrationen sind eine Wiederkehr alter, wirksamer, für alle sichtbarer Öffentlichkeit. Denn für uns alle gilt dieser eine Satz: Für Pessimismus ist es zu spät.“ (Eva Menasse)
Eine Dankesrede anlässlich der Verleihung des Ludwig-Börne Preis für Publizistik am 26. Mai 2019, die Eva Menasse für ,Essay und Diskurs’ noch einmal aufgenommen hat. Der Preis erinnert an den Schriftsteller und Journalisten Ludwig Börne, der wegen seiner scharfzüngigen Prosa als einer der Erfinder des Feuilletons gilt.
Eva Menasse, geboren 1970 in Wien, lebt seit 2003 als freie Schriftstellerin in Berlin. Ihr Debütroman ,Vienna' sowie ihre folgenden Erzählungen und Essays waren bei Kritik und Lesern ein großer Erfolg. 2017 erschien ihr Erzählungsband,Tiere für Fortgeschrittene'. Sie erhielt u.a. den österreichischen Alpha-Literaturpreis, den Heinrich-Böll-Preis der Stadt Köln, den Jonathan-Swift-Preis für Satire und Humor sowie den Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg.