Jenseits der Wissenschaftsikone
Wie Zeitgenossen Sigmund Freud erlebt haben
Von Jörg-Dieter Kogel und Christfried Tögel
Sigmund Freud, ganz privat: Zwischen Tee mit Virginia Woolf, Kaviarbrötchen und Krimilektüre erscheint selbst der strenge Vater der Psychoanalyse mitunter als faszinierend menschliche Figur - jenseits des Mythos, aber mitten im kulturellen Gedächtnis. Was bleibt vom Menschen hinter der Theorie? Wenn man Sigmund Freud im Spiegel seiner Zeitgenossen sieht, ist er eben viel mehr als ein Titan der Wissenschaft, sondern wird kenntlich als charismatischer Gastgeber, der Freunde und Intellektuelle mit altmodischer Höflichkeit empfängt. Und wir erleben Freud als intellektuellen Grenzgänger, der zwischen Medizin, Philosophie, Literatur und Archäologie hin und her wandelt. So sehr Freud um die wissenschaftliche Anerkennung der Psychoanalyse kämpft, so sehr zeigt er sich privat als skeptischer Beobachter seiner eigenen Verehrung: Der Privatmensch begehrt auf gegen die Kultfigur. Aus Archivfunden und Erinnerungen entsteht ein lebendiges Mosaik - ganz nah an der Stimme, dem Blick, dem Alltag des Mannes, der die menschliche Seele sezierte und dabei selbst zutiefst menschlich blieb. Kein Denkmal, sondern ein feinsinniges, oft amüsiertes Echo auf einen, der wusste: Auch Genie braucht Tee, Bücher - und Kaviarbrötchen.
Christfried Tögel ist einer der führenden Freud-Biografen und der Herausgeber der 2023 abgeschlossenen Sigmund-Freud-Gesamtausgabe in 23 Bänden. Er veröffentlichte unzählige Publikationen zur Geschichte der Psychoanalyse, darunter mehrere Briefwechsel Freuds, und leitete die Erfassung und Neuordnung der Archive an den Freud-Museen in Wien und London. Von 2001 bis 2015 war er Leiter des Sigmund-Freud-Zentrums und von 2004 bis 2015 Direktor des SALUS-Instituts in Magdeburg.
Jörg-Dieter Kogel arbeitete mehr als 30 Jahre als Kulturredakteur und Autor bei der ARD. Von 2003 bis 2016 war er Programmleiter des Nordwestradios von Radio Bremen und dem NDR. Kogel ist Mitglied der Historischen Kommission der ARD, Mitbegründer der Günter-Grass-Stiftung Bremen und gehört dem Vorstand der Wolfgang-Koeppen-Stiftung an. Zuletzt erschien „Im Land der Träume. Mit Sigmund Freud in Italien“.