Der Initiationstraum - Als die Ähren sich neigten (1/2)
Von Ursula Krechel
(Wdh. v. 25.12.2006)
(Teil 2 am 10.6.2019)
In einem zweiteiligen Essay untersucht Ursula Krechel Mythologie und Bedeutung von sogenannten Initiationsträumen. Nach einem Jahrhundert der Erforschung des Unbewussten ein panoramatischer Blick zurück in die Zeit, als Träume noch etwas bedeuteten.
Der Träumer geht beim Traum in die Lehre und es drängt ihn, das Erfahrene, das Geschaute mitzuteilen, er offenbart sich träumend und durch seine Traumarbeit. Im 4. Buch Moses spricht Gott: „Hört, was ich sage! Wenn unter euch ein Prophet ist, so offenbare ich mich ihm durch Gesichter oder rede durch Träume mit ihm.” Es ist nicht verwunderlich, dass im Stichwortverzeichnis von Sigmund Freuds ,Traumdeutung’ das Wort ‚Initiationstraum‘ nicht vorkommt, und doch hätte es weitsichtig, weiträumig genau zwischen ,Infantil’ und ,Inkohärenz des Traumes’ gepasst. Beide Begriffe sind Schamwörter, also um die Wende zum 20. Jahrhundert, als Freud ,Die Traumdeutung’ veröffentlichte, absolut innovative Begriffe. Was sie zu fassen suchen, hat noch keinen Namen, ist peripher, fragmentarisch und bedarf deshalb der Bearbeitung.
Ursula Krechel, geboren 1947 in Trier, studierte Germanistik, Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte. Sie lebt in Berlin. Erste Lyrikveröffentlichungen 1977, danach Gedichtbände, Prosa, Theaterstücke, Hörspiele und Essays. Vielfache Auszeichnungen für ihr Werk. Zuletzt wurde Ursula Krechel 2012 für ihren Roman ,Landgericht’ mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet, 2018 folgte der Grimme-Preis für die Verfilmung des Romans (Heide Schwochow, Buch, und Mathias Glasner, Regie).