Die große Kulturmaschine Funk
60 Jahre Stuttgarter 'Radio-Essay'
Stephan Krass im Gespräch mit Barbara Schäfer
Am 12. Juli 1955 ging beim SDR in Stuttgart ein Programm auf Sendung, das von seinem Erfinder und ersten Redakteur, dem Schriftsteller Alfred Andersch, auf den Namen 'Radio-Essay' getauft wurde. Ähnliche Radiosendereihen liefen damals bereits beim Bayerischen Rundfunk und Hessischen Rundfunk. Das neue Programm umfasste ein breites Spektrum radiophoner Sendeformen. Der damalige Intendant Fritz Eberhard schrieb in der SDR-Broschüre radio-essay, 1/1956: "Eine kleine Gruppe von Autoren begab sich auf die Suche nach Formen, die es ihnen erlauben sollten, politische, soziale und geistige Probleme, Persönlichkeiten und Menschengruppen, Länder und Landschaften, ja selbst psychologische, soziologische und historische Phänomene im Funk darzustellen. In den Sprachlaboratorien dieser Autoren entstanden Modelle, die den technischen Gesetzen des Funks entsprechen." Man kann die ersten 10, 15 Jahre des 'Radio- Essays' durchaus als heroische Phase eines Kulturprogramms bezeichnen, das bundesrepublikanische Kulturgeschichte geschrieben hat. Hier spielten die intellektuellen Debatten, hier fand die Avantgarde aus Literatur und Musik ihren Ort, hier gaben sich Arno Schmidt, Ingeborg Bachmann, Wolfgang Koeppen, Max Frisch, Martin Walser, Gisela Elsner, Heinrich Böll und Max Bense die Studiotür in die Hand. Stephan Krass, Redakteur des SWR-Essays, lud im Juni 2015 zu einem Symposium ins Literaturhaus Stuttgart, wo der runde Geburtstag in Zusammenarbeit mit dem Deutschlandfunk begangen wurde.