Tugend über dem Abgrund
Eine Lange Nacht über den Wiener Schriftsteller Heimito von Doderer
Von Nikolaus Scholz
Regie: der Autor
Der Wiener Schriftsteller Heimito von Doderer (1896-1966) - eigentlich Franz Carl Heimito Ritter von Doderer - entstammte einer der wohlhabendsten Familien der Habsburgermonarchie. Sein Vater, ein klassischer Unternehmer, brachte es zu einem Riesenvermögen, war aber gleichzeitig für seinen Sohn Heimito menschlich kaum erreichbar. Darunter litt der Schriftsteller Zeit seines Lebens, umso mehr, als er bis weit ins Erwachsenenalter hinein finanziell von den Eltern abhängig war, ja sogar bei ihnen wohnen blieb. Der literarische Durchbruch gelang dem studierten Historiker und eingeschriebenen Mitglied der NSDAP mit seinem Roman „Die Strudlhofstiege“, ein zutiefst österreichisches Gewebe aus Geschichten, Stimmungen und Intellekt ohne Hang zur Melancholie. „Der Schriftsteller ist ein ekelhafter Kerl“, so outete sich der Schriftsteller einst in einem Interview, meinte damit aber keineswegs seine sexuellen Praktiken, an die seine langjährige Geliebte Dorothea Zeeman in einem autobiografischen Bändchen ausführlich erinnert. Solche Aussagen hatten mit Doderers Geltungsdrang zu tun und seinem Hang zu Posen aller Art. Nicht minder wichtig waren ihm seine Rituale - das brav regelmäßige Schreiben, das akkurate Feilen an den Texten - schlichtweg das Einhalten einer Ordnung als Maßnahme der Selbstdisziplinierung, gerichtet gegen die permanente Versuchung zum Exzess und zur Trägheit. In dieser „Langen Nacht" hören Sie im Originalton die Germanistin Claudia Girardi, die Literaturwissenschaftler Gerald Sommer und Christopher Dietz, sowie Heimito von Doderer selbst.