Die Literatur und das „Wir“ - Wie wird Welt zu Text? (3/4)
Vorsicht, jetzt singe ich
Von Sandra Hetzl
(Teil 4 am 31.10.2021)
Welche Themen bewegen Übersetzerinnen in aller Welt? Sandra Hetzl wendet sich an die Öffentlichkeit mit einer ganz eigenen Geschichte über Berührungsängste und wie sie zu einer engagierten Übersetzerin aus dem Arabischen wurde.
Sie beschreibt eine Herkunft, die in Bayern verortet ist, aber Wurzeln ganz woanders hat: „Eltern, die Ihnen nichts hinterlassen hätten, als ihre Gesichtszüge und Farben und das Unbekannte ihrer Gene. Eltern, die in den 60er-Jahren nach Deutschland gekommen wären, die eine aus Westasien, der andere aus Nordafrika. Eltern, die sich ab dem Zeitpunkt ihrer Geburt hinter einer nagelneuen Geburtsurkunde, in der sie unerwähnt blieben, übergangslos in Luft aufgelöst hätten, nahtlos undokumentiert.“ Wie daraus die Kunststudentin mit Rassismus- und Ausgrenzungserfahrungen und später Literaturübersetzerin wird? Sie erfindet das Leben als Zwilling.
„Wäre das dann Berührungssehnsucht? Denn Übersetzen ist ja immer eine Berührung, und mit einer Berührung geht auch immer ein Kontrollverlust einher, besonders für die Autorin. Mir fällt es jedenfalls viel leichter, einen Text zu übersetzen, als selbst einen zu schreiben. Übersetzen hat eher etwas von Karaoke. Also Vorsicht. Jetzt singe ich.“
Das TOLEDO-TALKS-Programm des Deutschen Übersetzer Fonds lädt Übersetzerinnen und Übersetzer im Austausch der Kulturen ein, ihre Erfahrungen und Beobachtungen zu gegenwartsbezogenen Themen als Essays einzureichen. Aus diesem Programm stammt Sandra Hetzls Essay, den wir als Radioproduktion dokumentieren.
Sandra Hetzl übersetzt zeitgenössische literarische Texte vom Arabischen ins Deutsche. Sie ist Gründerin des Literaturkollektivs 10/11 für zeitgenössische arabische Literatur und des Mini-Literaturfestivals „Downtown Spandau Medina“.