Aufstieg der Populisten
Die Rechte ist da, aber sie hat keine Gesellschaftstheorie mitgebracht
Von Barbara Sichtermann und Simon Brückner
Weltweit sind Populisten und staatsfeindliche Libertäre in die Zentren der Macht gelangt oder auf dem besten Wege dorthin. Wie konnte das geschehen - trotz ihrer Faktenverdrehungen, groben Pauschalisierungen und offener Demokratiefeindlichkeit?
Eine anspruchsvolle Gesellschaftstheorie haben die Populisten anscheinend nicht mitgebracht. Offen ist, ob der Geist, der ihnen Antrieb verleiht, seine Theorie nur noch nicht gefunden hat - oder ob er sich Theorie grundsätzlich entzieht. Unter einer dieser Bedingungen muss die Rechte, beflügelt vom eigenen Erfolg, nun Politik machen. Vielleicht wäre es aber ein Fehler, hier vorschnell nur einen Mangel zu konstatieren. Ist dieser Geist nicht möglicherweise mehr als bloße Negation - mehr als jener Geist, der in Goethes Faust stets verneint?
Um der Spur des rechten Zeitgeistes nachzugehen, um zu begreifen, wie er heute wirkt, gilt es, unseren Blick zurück zu wenden - aber nicht zu den großen Kriegen und zum Totalitarismus, sondern in jene Phase, in der die westliche Rechte, zutiefst diskreditiert und zerlumpt, im Nachkriegsdeutschland im Verborgenen überwintern musste.
Gelingen konnte ihr dies vorwiegend im Bereich der Kunst, während die Linke ihren Marsch durch die Bildungs- und Kulturinstitutionen antrat und fortsetzte. Gerade Literaten und Dichtern wie Botho Strauß, Uwe Tellkamp oder Michel Houellebecq gelang es, etwas Neu-Rechtes zu formulieren und damit ästhetische Wirksamkeit zu erzielen. Sie beschworen und verrätselten etwas, das Gesellschaftstheoretiker mit guten Gründen sofort verworfen und bekämpft hätten, sobald es zu einer politischen Programmatik erhoben worden wäre.
Was heute im engeren Sinne als „Neue Rechte“ bezeichnet wird, ist eine mehr oder minder organisierte Gruppe von Intellektuellen, die es nicht hinnehmen wollte, dass die Linke das Feld der Theorie für sich allein beanspruchte. Der „Neuen Rechten“, einer Konkurrenzveranstaltung zur „Neuen Linken“, lässt sich ihre akademische Dürftigkeit und politische Gefährlichkeit relativ leicht nachweisen. Eine entscheidende Frage bleibt allerdings ungeklärt: Liegt diese Dürftigkeit darin begründet, dass im rechten Denken und Fühlen etwas unaufhebbar Antiintellektuelles, ja möglicherweise sogar Antigesellschaftliches steckt, aus dem weder überzeugende Politik noch Theorie zu gewinnen wäre? Oder sind der rechte Marx, der rechte Foucault und der rechte Adorno schlichtweg noch nicht geboren?
Der eigentliche Trick, um wirklich etwas über die Rechte zu erfahren, um sie vielleicht sogar besser zu verstehen, als sie sich selbst versteht, liegt darin, nicht nach ihren politischen Argumenten zu fragen - und sich dann zu freuen, wenn keine kommen - , sondern nach ihren Bildern eines gelingenden Lebens zu forschen. Hierfür bieten Dichter und Denker bessere Beispiele als Politiker.
Barbara Sichtermann, Jahrgang 1943, ist Journalistin und Schriftstellerin. Sie studierte Sozialwissenschaften und Volkswirtschaftslehre in Berlin. Seit 1978 arbeitet sie als freie Autorin. Ihre Themen: Leben mit Kindern, Frauenpolitik und -biografik, Medienkritik. Sie ist seit 30 Jahren Mitglied der Grimme-Preis-Kommission. 2015 erhielt sie den Theodor-Wolff-Preis für ihr Lebenswerk. Ihr letztes Buch (mit Ingo Rose) trägt den Titel: „Fahren Sie sofort los!“Alexandra Kollontai. Ein Frauenleben zwischen Auflehnung und Macht. Wien, 2024
Simon Brückner, Jahrgang 1978, studierte Kulturwissenschaft, Soziologie und Europäische Ethnologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seine Dokumentarfilme wurden international gezeigt und mehrfach ausgezeichnet. Er verfasste Feature-Formate für den Hörfunk, arbeitete als Dramaturg und Dozent. Zuletzt erschienen der beobachtende Kinofilm Eine deutsche Partei (Berlinale 2022) über die AfD sowie das gemeinsam mit Barbara Sichtermann und Jens Johler herausgegebene Sachbuch Das verordnete Schweigen. Zensur von Fall zu Fall, Hamburg 2024.