Ins Licht geschrieben (2/3)
Erweckung der Toten - Peter Altenberg und mein Bücherregal
Von Navid Kermani
(Teil 3 am 13.4.2020)
Was ist der Tod, und wie gehen wir mit schier überwältigender Trauer um? Navid Kermani probiert mehrere Geisteshaltungen aus, die ihm die Prosaskizzen des Autors Peter Altenberg empfehlen. Ein Essay über die Wucht des Schicksals und die heitere Gelassenheit gegenüber dem eigenen Leben. In seinem zweiten von drei Essays zu den Osterfeiertagen blickt Navid Kermani zurück auf die Zeit, in der sein Vater gestorben ist. Er steigt auf die Leiter vor seinem Bücherregal und versucht inmitten der Bücher zu begreifen, was der Tod ist. Werke von Karl Kraus, Franz Kafka, Ilse Aichinger, aber auch von Rafik Schami und Fadi Azzam zieht Navid Kermani aus dem Regal. Manche Gedanken trösten ihn, manche klären zuvor Unverstandenes; dann wiederum durchdringen sich Bücherwelt und Lebenswelt stets gegenseitig, wenn Kermani die Angst spürt, manche Werke könnten ungelesen im Regal vermodern. Besonderes Augenmerk richtet Navid Kermani hier auf den österreichischen Schriftsteller Peter Altenberg: Früh unglücklich verliebt, bald arbeitsunfähig geschrieben, den Drogen verfallen, brachte Altenberg zumeist nur Gedankensplitter zu Papier. Diese jedoch vermögen Trauer und Ohnmacht angemessen in Worte zu fassen: Altenberg schreibt etwa vom Schicksal, das uns „wie eine Hunnenhorde” überfällt. Wieviel von Altenbergs Dekadenz, Weltverachtung, aber auch Heiterkeit gegenüber dem eigenen Leben sind im Umgang mit Trauer angemessen?
Navid Kermani, geboren 1967 in Siegen, lebt als freier Schriftsteller in Köln. Er ist habilitierter Orientalist und Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung sowie des 1. FC Köln. Für seine Romane, Essays, Reportagen und Monografien wurde er vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Kleist-Preis, dem Joseph Breitbach-Preis und den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Zuletzt erschien von ihm „Morgen ist da. Reden” sowie seine Auswahl aus dem Werk von Friedrich Hölderlin, „Bald sind wir aber Gesang”, beide im Verlag C. H. Beck.