Mit Zweifel an allem, und Wut auf fast alles
Eine Lange Nacht über den Schriftsteller Rolf Dieter Brinkmann
Von Gisa Funck
Regie: Burkhard Reinartz
Als „Kultautor“ verehrt, aber auch von vielen gefürchtet: Auch fünfzig Jahre nach seinem frühen Tod durch einen Autounfall in London am 23. April 1975 gibt der Provokateur, Pop-Avantgardist und Literatur-Rüpel Rolf Dieter Brinkmann immer noch Rätsel auf - und ist sein genre-sprengendes Werk nicht leicht einzuordnen. Erst jetzt, nachdem der Nachlass lange unter Verschluss war, ist eine erste Biografie erschienen. 1940 in Vechta geboren, schrieb und dichtete Brinkmann zunächst generationstypisch gegen den Muff der Adenauerzeit an - und wurde 1969 mit der (zusammen mit Ralf-Rainer Rygulla) herausgegebenen Anthologie „Acid“ berühmt: Eine Sammlung frech-obszöner Underground-Texte aus den USA und Großbritannien, die heute als Gründungsdokument der deutschen Popliteratur gilt. Schon darin formulierte Brinkmann sein (von den US-Underground-Poeten abgelauschtes) Literaturcredo, das lautete: Mehr Sinnlichkeit, mehr Alltagswelt und mehr Erzählpräsenz im Hier und Jetzt. Im Glauben an die taburechende Kraft der Provokation verwandelte sich Brinkmann danach jedoch vom Pop-Kulturstar immer mehr in einen rabiaten Alles-Beschimpfer, der in seinen cholerischen Ausfällen nicht nur über den „Kontrollstaat“, die Amerikanisierung, den (aus seiner Sicht korrupten) Literaturbetrieb, ältere Autoren wie Heinrich Böll oder Günter Grass gnadenlos herzog, sondern auch über die linke Studentenbewegung und gleichaltrige Kollegen, Frauen oder Freunde wie Peter Chotjewitz oder Nicolas Born. Am Ende stand der Sprach- und Weltskeptiker Rolf Dieter Brinkmann in seiner unmäßigen Wut auf alles und jeden dann ziemlich alleine da, und fühlte sich einsam auf seiner Suche nach einer ganz neuen Form der radikal subjektiven Lebens-Mitschrift. Nichtsdestotrotz gilt er heute als einer der einflussreichen Autoren der Nachkriegszeit - und wirken vor allem seine späteren Collagebücher (etwa „Rom, Blicke“) und sein Versuch, die Alltagsrealität nicht nur schreibend, sondern auch per Foto- und Filmkamera möglichst unverfälscht einzufangen, auch nach fünfzig Jahren immer noch hochaktuell und faszinierend.