DER AFRIK
Von Sven Recker
Regie: Nicole Paulsen
Mit: Volkmar Staub, Christian Scherer, Luc Schillinger, Félicien Moisset, Gabriele Zink, Isabelle Demey, Bevölkerung von Pfaffenweiler
Besetzung: Sylvia Böttcher, Mona Frick
Bearbeitung, Dramaturgie & Redaktion: Uta-Maria Heim
Ton & Technik: Christian Eickhoff, Tanja Hiesch, Claudia Peycke
SWR 2025
Länge: 54‘ 36‘‘
Die Jury der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste benannte „DER AFRIK“ zum Hörspiel des Monats September 2025.
Die Begründung der Jury
Afrika ist das Paradies - versprechen sie. Nach Missernten und Hungersnöten verkauft das badische Dorf Pfaffenweiler um 1853 ein Waldstück an reiche Winzer. Mit dem Geld finanziert die Gemeinde ihren Ärmsten die Ausreise. Nach Algerien. Ins goldene Land. Rückkehr allerdings ausgeschlossen. Auch Franz und seine Mutter sind dabei. Elend, Krieg und Krankheit erwarten sie. Alle Bittbriefe, nach Hause zurück zu dürfen, verhallen. Der Junge verscharrt seine Mutter, die nicht lange nach der Ankunft stirbt, im trockenen Wüstenboden. Afrik, rufen sie ihn in Pfaffenweiler. Er ist zurückgekehrt, Jahrzehnte später. Als Einziger. Keiner nimmt den Außenseiter ernst, der in einer Hütte oberhalb des Dorfes vegetiert. Niemand ahnt, dass Franz einen Plan hat. Dass er Rache nehmen will. Den Weinberg in die Luft sprengen und sich selbst dazu. Bis eines Tages ein Junge auf seiner Schwelle sitzt, halb Kind, halb Tier, und so ausgegrenzt wie er selbst.
Das Hörspiel führt uns in die Innenperspektive des erwachsenen Franz. Nahezu wahnsinnig scheint er. Begleitet von schrecklichen Erinnerungen und vom Nachtkrapp, einem schwarzen Sagenvogel, der ihm böse Dinge einflüstert. Das Überleben hat ihn einen Teil des Verstandes gekostet. Hin und wieder dringen Spott und Tratsch und Heuchelei der Pfaffenweiler zu ihm durch. Aus dem Mosaik seiner Gedanken, Stimmen, Erinnerungen setzt der Autor allmählich und sehr kunstvoll die Geschichte zusammen. Er lässt sich Zeit. Wichtiger als der dramatische Spannungsbogen sind ihm die sozialen Umstände und das Psychogramm des Rückkehrers.
Als enthüllt wird, dass dieser Mensch, über den die Kinder sich lustig machen, der einsam und verarmt am Rande des Dorfes lebt, dass diese fast stumme Kreatur einen ausgeklügelten Racheplan hegt, ist das ein starker Moment. Das hat Größe. Würde. Nichts ist vergessen. Dass man sie wegschickte und nicht zurückholen wollte, dass er seine Mutter im fremden Land verscharren musste. Noch stärker ist indes, dass er schließlich auf seinen Plan verzichtet. Um dieses Jungen willen, den das Schicksal ihm vor die Tür setzt. Wie die zwei Außenseiter einander näherkommen. Wie ein Gefühl und mit diesem Gefühl ein neuer Lebenssinn entsteht, das ist ergreifend erzählt.
Die Mundart als Stilmittel ist mutig und herausfordernd. Sie führt uns tiefer ins Innere der Hauptfigur, sie charakterisiert die sozialen Umstände, sie versetzt uns sofort in jene Zeit.
Die Themen dieses Stück sind heutig, auch wenn es eine historische Begebenheit schildert. Deutlich wird, dass Auswanderung und Vertreibung, Ausgrenzung und Rache beschäftigen uns schon sehr lange und werden hier als soziale Phänomene gedeutet.
Ein intensives Hörerlebnis, stark erzählt, zutiefst menschlich, berührend und bei aller Schwere ermutigend. Ein kleines Wunder.
Die Jury und der gastgebende Sender 2025
Laila Stieler, Drehbuchautorin, Hörspielautorin, Dramaturgin und Filmproduzentin
Sebastian Krumbiegel, Musiker und Autor
Gastgebender Sender: MDR