Viele Apparate und wenig Zeit
Brauchen wir mehr menschliche Zuwendung in der Medizin?
Gäste:
Prof. Dr. Giovanni Maio, Arzt und Philosoph, Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin, Albert Ludwigs Universität Freiburg
Dr. med. Christiane Groß, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Psychotherapie, Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes
Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen
Am Mikrofon: Andreas Stopp
Hörertel.: 00800 - 4464 4464
lebenszeit@deutschlandfunk.de
Der zwischenmenschliche Charakter der Medizin sei so entgleist wie selten zuvor, warnt der Medizinethiker Prof. Dr. Giovanni Maio in seinem jüngst erschienenen Buch "Den kranken Menschen verstehen". Viele Apparate und wenig Zeit stünden einem echten Arzt-Patienten-Gespräch im Wege. Tatsächlich zeichnet sich die moderne Medizin durch einen hohen naturwissenschaftlich geprägten Wissensstand und immer perfektere Technik aus. Die direkte Zuwendung des Arztes trat in den vergangenen 30 Jahren immer mehr in den Hintergrund, weil Laborwerte und Computerbilder die vermeintlich sichere Diagnose erlauben. Die Anwendung modernster medikamentöser Therapien und immer perfekterer Operationsmethoden bestimmen den ärztlichen Arbeitsalltag in Klinik und Praxis. Für eine ausführliche, stressfreie und ruhige Hinwendung zur Persönlichkeit und zu den Gefühlen des Patienten bleibt da kaum Zeit und Raum. Und das, obwohl die allermeisten Ärzte mit dem Anspruch in ihr Berufsleben eintraten, kranken Menschen in ihrem gesamten Menschsein beizustehen.
Doch insbesondere schwere Diagnosen lösen bei den Patienten und Angehörigen immer auch Ängste aus, die in existenzielle Krisen führen können. In ihrer Not fühlen sich viele Patienten häufig von ihren Ärzten allein gelassen, unverstanden. Sie empfinden sich auf ihr erkranktes Organ reduziert. Mitunter sogar in ihrer menschlichen Würde verletzt.
Was kann ein Gespräch, eine menschliche Geste, Trost und Ehrlichkeit jenseits von medizinischer Spitzentechnologie bewirken? Welche Therapiemöglichkeiten eröffnen sich für Arzt und Patienten, wenn sie ausreichend Zeit für ein Gespräch haben? In welcher Weise kommt es Medizinern zugute, wenn sie den erkrankten Menschen ganzheitlicher kennenlernen könne? Welche strukturellen Umformungen im Medizinbetrieb könnten zu mehr Zeit in der direkten Begegnung Arzt-Patient führen?